Wer am lautesten schreit?

Was passiert eigentlich, wenn ein Blogger nicht mit Samthandschuhen angefasst wird?

Er schreit. Laut, deutlich, möglichst effektiv natürlich. Nämlich im Web2.0. Via Twitter, Blog, Wave, Pip.io, whatever. Er schreit um Hilfe und Solidarität. Aktiviert sein Netzwerk. Das wiederrum die Kontakte dritten Grades, und so weiter und so fort.

Sprich: Klein Bloggersdorf und Twitterhausen sind auf den Barrikaden.
Es darf nicht sein, was nicht sein kann. Niemand darf sich – sei es abmahnend, ‘zensierend’ oder verwaltend, sei es belehrend, mit anderer Meinung, anderer Perspektive oder von oben herab, gegen einen “von uns” richten.

Das hatte in der Vergangenheit in dem einen oder anderen Fall (mir fallen gerade z.B. die Markennamen Jako und Jack Wolfskin ein) durchaus Erfolg. Und in beiden Fällen könnte man sagen durchaus zurecht.

Aber was ist, wenn einer schreit, der nicht im Recht ist? Wenn einer schreit, bei dem die Lage komplizierter ist, als “Abmahnung wäre hier evtl. fünf Nummern zu groß, könnte man sich nicht so einigen?!”. Was, wenn einer schreit, der vielleicht – nur vielleicht – selbst Fehler gemacht hat? Fehler, die vielleicht sogar das Handeln des vermeintlich “größeren”, des Bösen, rechtfertigen? Was dann?

Was, wenn es zwei Seiten gibt?

Erst mal wird zurück gekeilt. Solidarität eben. Einer von uns – mal wieder. Gegen die Industrie, die Verlage, die Presse, die ‘alte’, die Offline-Welt. Gegen die da draußen. Gegen die da oben..Die anderen eben.

Da müssen wir natürlich unterstützen.
Da müssen wir helfen, wie wir immer helfen.
Da müssen wir mit schreien, damit ‘die da oben’ merken, dass man so mit uns nicht umgeht. So! nicht!

Und wie wir schreien und brüllen. Und wenn das Gebrüll und Geschrei abebbt, wenn der “Fog of War” sich lichtet, haben wir wenigstens eines Erreicht: Wenn man online zuhört, hört man uns. Unsere Meinungen, Perspektiven, unser Gebrüll. Wir sind vernetzt, wir sind verlinkt, wir stehen bei Google ganz schnell ganz weit oben. Wir machen negative Publicity. In wenigen Stunden, mit wenigen Handgriffen.

Fakten?

Mangelware.

Die kennen nämlich in der Regel nur die direkt beteiligten. Und die haben zum Einen möglicherweise gar kein Interesse daran, diese lückenlos darzulegen, und zum Anderen dürfen/sollten/werden sie es nicht tun. Weil Sie uns dann nicht mehr so gut zum Brüllen brächten. Oder weil sie schlicht noch “da draußen” leben, und nicht immer alles gleich brühwarm im Netz diskutieren (wollen). Oder weil wir ihnen einfach nicht zuhören. Weil sie nicht dazu gehören.

Wer hat Recht? Wer ist im Recht? Keine Ahnung. DIE bestimmt nicht. Auf sie mit Gebrüll.

Aber was, wenn sie Recht haben? Im Recht sind? Oder was, wenn es wie so oft ist, im Leben, wenn beide Seiten irgendwie Recht haben? Wenn eigentlich beide Seiten das ganze untereinander klären sollten? Ohne Gebrüll?

Wenn der Nebel sich lichtet, ist es zu spät. Wenn der Nebel sich lichtet, stehen wir nämlich schon ganz oben, mit dem Gebrüll. Bei Google und Bing. Und kaum einer rudert mal zurück. Kaum einer gibt mit ähnlicher Verve einen möglichen Fehler zu. Das, was wir “denen” so gern vorwerfen, dass sie ihre Fehler ignorieren und weitermachen, wie bisher. Das können wir genauso gut. Was kümmert mich mein leeres Geschwafel von Gestern? Mein Blogpost von vorgestern? Edit drunter “Offenbar ist alles komplizierter“, ändert das was? Wer liest dieses Edit noch? Wer liest den ganzen Artikel überhaupt noch? und wer nur das, was bei Google steht?

Ab und zu würde ich mir wünschen, dass man nicht in den ersten zwei Stunden alles gesagt hat. Dass man sich mal etwas Zeit lässt. Abwartet. Recherchiert. Damit – da haben die alten Medien nämlich recht – kann man ab und zu recht spannendes herausfinden. Aber das macht ja Mühe. Das ist kein Hype. Kein Geschrei. Das ist langweilig.

Ab und zu wäre Reflektion, VOR dem “veröffentlichen”-Klick vielleicht mal sinnvoll.

Ab und zu ist nämlich nicht alles so, wie es scheint, wisst Ihr?

Präsidentenwahl im Namen Gottes

Die größte Konfessionelle Gruppe in Deutschland ist, man glaubt es kaum, konfessionslos. Mehr als ein Drittel aller in Deutschland lebenden Menschen.

Und wer wird von den großen Parteien zur Wahl vorgeschlagen?

Herr Gauck, evangelischer Pastor.
Christian Wulff ist Kuratioriumsmitglied von “ProChrist”.

Andere Vorschläge wären z.B. Frau von der Leyen, die z.B. Schirmherrin des “evangelikalen Jugend-Kongresses Christival” ist.
Oder Margot Kässmann, ebenfalls evangelische Pastorin.

Man sieht, wohin ich will, oder?

Alles – für ein Volk von Konfessionslosen und / oder weitgehend inaktiven Konfessionellen – auffällig religiös aktive Menschen. Wie kommt das?

Was motiviert die aktive Politikerszene (man verzeihe mir diese Anleihe im St. Pauli-Kontext), sich vor allem mit Anhängern von Institutionen zu schmücken, die seit 2.000 Jahren keine Fortschritte gemacht haben? Die an ein Buch und die darin geschilderte Botschaft glauben, das uns sagt, dass die Erde in 6 Tagen geschaffen wurde? (natürlich rein metaphorisch.)
Menschen, die sich offenbar mit der Aussage solidarisch erklären, dass jemand nach seinem Tode nicht nur auferstand, sondern auch noch “gen Himmel fuhr”, wo er jetzt lebt. Seit 2.000 Jahren?

Manchmal fühlt es sich ein bisschen wie Mittelalter an. Aber okay, da sind wir ja offenbar auch noch. Immerhin zahlt der Staat – also wir alle – vor allem auch wir konfessionslosen – das Gehalt für Kleriker. Wie war das noch mal mit der Trennung von Staat und Kirche?

Aber – siehe oben – die scheint eh nur sehr begrenzt beabsichtigt. Die regierende Klasse (und das Wahlvolk?) legt ja offenbar Wert darauf, sich religiös zu geben.

Wobei, auch sonst – der Staat nimmt die Kirchensteuer ein – wäre es nicht logischer, die Kirchen sich selbst zu überlassen? Die Kirchen selbst mit ihren Mitgliedern die Gebühren, Beiträge, whatever vereinbaren zu lassen?

Irgendwie ist mein mal Scherzhaft gemeinter Vorschlag gar nicht so abwegig: Warum nicht Joseph Ratzinger zum Präsidenten machen? Das würde uns wenigstens das Rumgeeiere ersparen. Und eine Papst-Bundespräsidenten-Personalunion wäre zumindest absurd.

Einer dieser Tage, an denen ich mich darüber ärgere, dass die konfessionslosen eben gerade “nichts” gemeinsames haben und deshalb so schwer zu organisieren sind. Schon immer ein Problem derer, die für sich selbst dachten: Keine eigenen und weitgehend anerkannten Autoritäten.

Naja. Eigentlich auch nix Neues. Aber ich wollte mich mal wieder aufregen. Wenigstens ein kleines Bisschen.

Advent 01/2009 – Reden ist Gold

Das Sprichwort sagt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Im Umkehrschluß sind diejenigen, die nichts sagen, diejenigen, die die Klappe halten, also jene, die “mehr Wert” sind. Gold.

Kann man so lesen.

Für mich persönlich ist es genau andersrum. Und das bezieht sich auf zwei völlig voneinander verschiedene Themenkomplexe.

Reden ist Gold!

Reden ist Gold, weil man nur durch miteinander Reden, durch Kommunikation, Austausch, was von anderen erfährt. Was macht Freundschaft aus? Das Miteinanderreden. Warum funktionieren Beziehungen? Weil man kommuniziert. Klar, auch weil man sich “blind” versteht, aber das kann man ja nur, weil man vorher Kommunikation betrieben hat, weil man sich kennt. Durch Reden.

Freundschaften gehen kaputt, weil man aufhört miteinander zu reden. Beziehungen zerbrechen. Und umgekehrt kann man – wenn überhaupt – Freundschaften mit reden reparieren. Reden ist Gold!

Reden ist Gold, weil man sich nur durch Reden mitteilen kann. Nur durch Reden auf sich aufmerksam machen, oder auf etwas.

Sich wehren. Auf Mißstände hinweisen. Reden ist Silber.
Alles hinnehmen. Wegducken. Schweigen ist Gold.

Reden ist Gold! Reden macht, dass wir uns entwickeln, voran kommen. Dass wir dazulernen, die Welt besser verstehen, dass wir andere Perspektiven wahrnehmen. Reden macht, dass wir “nein” sagen können, wenn uns etwas stört. Dass wir uns wehren können. Und dass wir “ja” sagen können, wenn uns etwas gefällt, wenn es unsere Zustimmung bekommt.

Web 2.0 ist genau das. Ist Reden, Austausch, Kommunikation. Schön, dass es das gibt. Schön, dass wir hier sind. Reden können. Und dass wir das auch noch gut finden.

Habt einen schönen ersten Advent!

Weiterreden.

1. Advent