Peng

Ich bin ja eigentlich ziemlich tolerant. Ziemlich gelassen und entspannt. Bin in der Lage andere Meinungen zu akzeptieren, andere Standpunkte anzuhören, zu verstehen und abzuwägen. Und dann für mich zu entscheiden, inwiefern ich der Argumentation folge, oder nicht folge.

Aber ab und zu fällt mir das mit dem gelassen sein ziemlich schwer.

Zum Beispiel dann, wenn man mich dazu zwingt oder nötigt, eine Meinungsäußerung zu tätigen.

Stell Dir vor, es ist Demo, und Du musst hingehen.

Hamburg, 28.03.2010, 13:00, Millerntorstadion, Südkurve.

Wie vor eigentlich jedem Heimspiel war ich mit der Bezugsgruppe unterwegs ins Stadion. Eigentlich wollten wir auch nur auf die Stehplätze, um uns langsam an die Stadionatmosphäre zu gewöhnen, anzukommen, einen ordentlichen Platz zu finden. Wie man das halt so macht, als Fussballfan. Also.. kommt mir jedenfalls so vor.

Dankenswerterweise wurden wir vor dem Spiel noch einmal darüber informiert, dass sich einige Fanclubs dazu entschlossen hatten, die ersten fünf Minuten des Spiels zu boykottieren. Draußen zu bleiben, um ein Zeichen zu setzen, “für Fanrechte” und gegen das “Aussperren” der Rostocker (aussperren war jedenfalls der Begriff, den mir später einer der Boykottbefürworter an den Kopf warf). Inwiefern die Reduktion von Eintrittskarten für ein Fussballspiel eine Aussperrung bedeutet ist mir zugegeben sehr unklar, aber nun gut. Dann werden ja alle ausgesperrt, für die es keine Tickets gibt, oder? Was ist, wenn es mehr Interessenten gibt, als Tickets? Sind diejenigen, die dann kein Ticket bekommen auch ausgesperrte?

Naja, die Bezugsgruppe hatte das Thema vor dem Spiel kontrovers diskutiert, und war sich durchaus nicht einig in der Meinung zu dem Boykott. Von “ich find die Kontingentierung scheisse, weiß nicht, ob ich mitmachen soll” bis zu” “Man kann über die Kontingentierung geteilter Meinung sein, aber weder Protest, noch Protestform finde ich unter den aktuellen Umständen sinnvoll”, war alles dabei. Wir waren also absolut nicht “anti”, wie dann später unterstellt.

Uns wurden Flyer gereicht, einer aus der Bezugsgruppe ließ sich einen geben, wir schauten drauf, sahen uns den Flyer an und fanden… keine neuen Argumente. Das war alles in diesem Internet schon durchgekaut worden. Wir wussten also auch, worum es geht (später wurde uns dann vorgeworfen, wir wären nur uninformiert). Nun denn, ab in die Kurve, dachten wir uns.

Dummerweise fanden die Unterzeichner, oder wenigstens ein Teil der Unterzeichner, es gar nicht lustig, wenn man sich nicht für Ihre “Bitte” nach Boykott aussprach. Schon gar nicht, wenn man nicht mit boykottieren wollte. Aus welchen Gründen auch immer. Will sagen: Man durfte schlicht nicht rein. Mit geschätzt 30 bis 40 Personen wurde zumindest unser Aufgang in die Kurve versperrt, die reindrängende Masse nicht weiter gelassen.

Blockade statt Boykott?

Wir standen recht weit vorn, so dass einige von uns versuchten, mit den Blockierern zu diskutieren. Was zurückkam lief ungefähr auf folgende Argumente hinaus:

  1. “Wir kämpfen auch für eure Rechte!”
  2. “Ihr wollt doch auch zum Derby, nächste Saison”
  3. “Wenn Ihr euch nicht engagiert, dann dürft Ihr euch nicht beschweren”
  4. “Ihr habt keine Rechte”
  5. “Es sind doch nur fünf Minuten”.
  6. “Ihr wisst nur nicht, worum es geht, informiert euch, dann bleibt Ihr auch draussen”

Besonders schön daran, dass die Hälfte der Argumente in die Richtung ging, dass wir – oder alle anderen Angesprochenen – ja nur keine Ahnung hätten. Und die andere Hälfte einem einfach erklärte, dass man nur mal die Fresse halten müsste, weil man keine Rechte hätte etc…

Im Nachhinein durfte ich im Forum dann noch feststellen, dass sowas offenbar auch Teil des Südkurvenkonzepts sei. Von wegen selbstverwaltet. Nun ja, alles, was ich bisher darüber gelesen hatte, bezog sich auf Support, Anfeuern, laut sein. Aber der Zwang zu politischen Äußerungen war mir jetzt doch sehr neu.

What?

Toll, wie sich inzwischen herausgenommen wird, für alle zu sprechen. Toll, wie demokratisch solche Sachen in der vermeintlich basisdemokratischen Ultrakurve entschieden werden. Toll, wenn sich der Fanclubsprecherrat, der vermeintlich wenigstens für alle Fanclubs sprechen soll, solidarisiert (anders kann ich das Verhalten nicht deuten, sonst hätte es längst eine kritische Stellungnahme geben müssen). Toll, wenn der Verein selbst nicht in der Lage ist, seine Zuschauer zur Ordnung zu rufen.

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.

Demokratie fordern, aber für andere Entscheiden. Toleranz für “Fanrechte” fordern, aber keine Toleranz für andere Meinungen und Interessen aufbringen. Vor allem: Fanrechte fordern, und die Fanrechte anderer massiv beschneiden.

Das ist doch genau das, was der Verein mit den Rostockern macht, und in Zukunft alle mit uns machen werden.

Zum einen macht nicht “der Verein” was mit den Rostockern, sondern die Rostocker machen was. Nämlich die zur Verfügung stehenden Karten nicht nutzen. Das ist ihr gutes  Recht, aber zunächst mal kein Einschnitt in irgendeine Freiheit, der so immer wieder vorkommt.

Verdammt, Karten werden dauernd kontingentiert, sonst könnten Auswärtsfans ja auch Karten für den Heimblock kaufen etc..

Zum anderen macht nicht “der Verein” was, sondern vor allem erst mal die Polizei.

Zum dritten, weiß ich gar nicht, ob das jetzt alle mit uns machen werden. Und wer “uns” überhaupt ist. Es besteht die Möglichkeit, aber es ist kein Fakt. Und genauso besteht die Möglichkeit, dass dies zunächst eine Ausnahme war. Sowas gibt es nämlich – trotz Polizeistaatsparanoia (oder –Angst, ich will ja gar nicht darauf hinaus, dass sowas nicht auch zum Teil berechtigte Angst ist!) immer noch.

Aber – darum geht’s mir eigentlich nicht. Protest ist das gute Recht aller. Und wenn ich ihre Meinung nicht teile, protestiere ich einfach nicht mit.

Nur in diesem Fall ging es halt nicht, in diesem Fall konnte ich mich nicht entscheiden, den Protest nicht zu teilen, sondern wurde gezwungen ein Zeichen zu setzen. Durch mein Fernbleiben im Stadion.

Das ist – wenn man so möchte – vergleichbar damit, sich in die Wahlkabine zu stellen und die Wähler dazu zu zwingen, ihr Kreuz an die Stelle zu machen, an die man es gerne hätte.

Das ist St. Pauli.

Sich den denkenden, eigenständigen Mitfan wünschen, aber was dagegen haben, wenn der denkende, eigenständige Mitfan die eigene Meinung nicht teilt.

Das ist St. Pauli.

Mir wird ja schon länger schlecht, wenn wieder irgendjemand im Umfeld des Vereins einfach mal so “Solidarität” fordert, aber inzwischen sind hier wirklich alle Grenzen weit hinter sich gelassen, die eine Verwendung dieses Begriffes noch rechtfertigen.

Was wollt Ihr doch gleich? Solidarität? Man kann Solidarität nicht erzwingen. Man kann Meinungen nicht erzwingen. Solidarität? Was ist das für euch? Blindes unterstützen einer Aussage, weil man zufällig irgendwie einer Gruppe angehört in der die lauten sich einig sind? Einer Gruppe, die ca. 20.000 Menschen umfasst, die “St. Pauli-Fans im Stadion” heißt? Alle St. Pauli-Fans solidarisch? Solidarität my ass. Solidarisch mit Menschen, die mich als jemand der im weiteren Sinne für die Werbebranche arbeitet für “scheiße” hält? Solidarisch mit Menschen, die mich potentiell erst mal als “Internethool” abtun würden, weil ich nicht in nem organisiertem Fanclub bin? Mit Menschen, die mich wahlweise als “Schnarchnase” (fürs Protokoll, ich hab in den letzten Spielen gefühlt 80% der Zeit gesungen und geschrien) oder “Modefan” (der seit 20 Jahren ins Stadion geht…) bezeichnen.

Noch gar nicht so lange her, wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kopf nicht am Stadionausgang abgegeben werden soll. Das bringt dummerweise den Effekt mit sich, dass man viele verschiedene Meinungen und Perspektiven hat. Auch die Meinungen, die nicht die eigene wiederspiegeln.

Das war mal St. Pauli.

Dachte ich.

Aber nun gut. Ich hab dazu gelernt. Ich weiß jetzt, dass ich keine eigene Meinung brauche, weil “die aktiven Fans” mir diese Arbeit abnehmen. Wozu auch selbst denken, das kann ich ja eh nicht.

Ich weiß jetzt, dass ich bei Eingriffen in meine Rechte ja “einfach mal fünf Minuten warten kann”. Ich weiß jetzt, dass es Fans und Fans gibt. Faktisch. Fans, die Recht haben und offenbar auch Recht sprechen, und der Rest, der – wenn er Glück hat – ins Stadion gelassen wird.

Danke für das Abnehmen meiner Entscheidungen. Das hat mich eh schon immer überfordert.

Und in zwei Wochen wird wieder gejammert, dass man “Ultra” nicht verstehe. Weil man eigene Lieder singt.

Ach ja. Das ist ja das Südkurvenkonzept:

Kopf an der Tür abgeben und singen, was der Vorsinger ins Megaphon schreit. Stimmt ja. Das ist Ultra. Das ist Südkurve. Eine Meinung. Für alle. Stimmt ja. Ein Lied. Für alle. Einhaken. Im Takt marschieren hüpfen. Machen, was einem gesagt wird. Stimmt ja.

Individualismus ist scheiße.

Meine Fresse, wie kann man so den Schuss nicht gehört haben?
Wie kann man diktatorisches Vorgehen leben und sich gleichzeitig über das möglicherweise undemokratische Handeln des Vereinspräsidenten beschweren?
Wie kann man sich anmaßen, hier die einzig gültige Wahrheit gefunden zu haben?

Und da macht es auch keinen Unterschied mehr, ob kleine Kinder und Gebrechliche in den Block gelassen wurden (wurden sie nicht), oder ob es nur wenige waren, die nicht rein wollten (waren es nicht), das ist völlig egal. Und wenn nur ein 120 Kilo-Muskelprotz durch so eine Aktion daran gehindert wird, sein Recht auszuleben ist das einer zu viel.

Schön auch, das Argument, dass man ja bei Streiks oder Demos auch Einschränkungen hinnehmen müsste. Ja, muss man. Diese sind irgendwo, in irgendeinem gültigem Gesetz rechtlich definiert.

Ein Recht, das trotz allem immer noch durch öffentliche, demokratische Wahlen legitimiert ist (was auch immer man von Repräsentativdemokratie sonst so halten mag). Ein Recht, das von dafür zuständigen Menschen durchgesetzt wird (Zum Beispiel Polizisten. Aber okay, die muss ich ja – Kopf steht noch am Stadioneingang – ohne Einschränkung scheiße finden, oder?).

Manmanman.

Warum “Peng”?

Damit endlich mal jemand den Schuss hört.

Andere Stimmen zum Thema (die übrigens unterschiedliche Perspektiven vertreten, Stichwort eigene Meinung…Wobei ich jetzt mal alles verlinkt hab, was ich so gefunden habe und schon eine Mehrheit für ‘meinen’ Standpunkt glaube zu erkennen)…

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38 Gedanken zu „Peng

  1. Hatte ich mal vorhin informativ im Forum gepostet. Rein informativ, ohne Kommentar, nur als weitere Reaktion der “Öffentlichkeit”.

    Antwort:
    “super, andreas bock, ein bekennender hsver, schreibt einen artikel voller unzulänglichkeiten und feiert altona 93 ab. sehr zielführend für eine diskussion über unsere fanszene, vielen dank für den beitrag.”

    Noch Fragen?

  2. Oh! Mein! Gott! Ich werde jetzt vor Scham im Boden versinken, weil ich den Text eines HSVers gut finde … 😉

    … und ich finde ihn gut, sehr gut sogar!

    Keine weiteren Fragen! 🙂

  3. Sehr schön beschrieben. Nur wird der Schuss nicht laut genug sein. Die Betreffenden „Fans“ sind so durchgeknallt, daß Dein Schüsschen sie nicht mehr erreichen wird. Die „wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ Einstellung dieser Vollspacken lässt sich auch gut an der Antwort auf meinen Kommentar bei Erik ablesen: Wer die Ultras infrage stellt, ist plötzlich Rassist oder fremdenfeindlich. Ja nee, ist klar.

    Mein St. Pauli ist das nicht.

  4. @Carlos Du solltest dir den Mund (oder die Tastatur) sofort mit Seife auswaschen und Dich anschließend vor Scham nackt im Schlamm wälzen.

    Ich warte schon auf die ersten „Stani raus!“-Stimmen, weil er die Aktion auch nicht so wirklich ganz doll fand.

    @Kiki darf ich mal zusammenfassen: ich bin ein fremdenfeindlicher, rassistischer, eventlutschender, rechtloser, streikbrechender, unsolidarischer Nichtfan und habe beim Erwerb meiner Dauerkarte Süd mit meinem Blut unterschrieben, dass ich bei Themen rund um den FC Sankt Pauli mein Hirn vorher fachgerecht ausblasen lasse, damit ich auch konditioniert an allem teilnehmen kann.
    Stimmt das so in etwa?

  5. Kleine Korrektur: Das ist nicht St. Pauli, das ist USP (plus ein paar Andere). Und dein Schuss hier ist ja nur Teil des Gesamtschusses, der sich derzeit artikuliert, und das ist gut so! USP wird den auch hören — ob sie ihn auch an sich heran lassen, ist eine andere Frage. Ansonsten wohl geschrieben!

  6. @Kiki: wenn man diese Sorte Fan in einem Fancub zusammenfassen könnte, wären das erschreckend viele 😉

  7. @Jekylla @Carlos @Piet @Kiki

    DANKE!

    @Carlos schöner Link, trotz HSV-Fantum (hey, ich hab sogar Freunde aus deren Kurve…)

    @Kiki tja, wir sind halt nicht St. Pauli und auf uns hört auch keiner….

    @Piet ich habs mal extra nicht auf USP-Beschränkt, weil mir an sich egal ist, wessen Hut diejenigen da tragen, und weil es mir hier nicht um einzelne Organisationen geht… Zumal der FCSR ja offenbar auch „dahinter“ steht – jedenfalls hab ich noch keine Distanzierung gelesen…

  8. Ich kann gar nicht sagen wie wütend und traurig mich diese ganze Nummer gemacht hat. „Mein“ Verein wird 100 und spielt um den Aufstieg in die erste Liga mit, wie geil ist das denn bitte? Und da fällt den Ultras & Co. nichts besseres zu ein, als die Normalfans zu drangsalieren, bedrohen und zu einem Boykott zu nötigen?
    Ich habe schon fast gar keine Lust mehr zu dem Celtic Spiel zu gehen, auf das ich mich so riesig gefreut hatte. Naja, zumindest habe ich mir eine Karte für die Nord geholt; mein Credo „bloß weit weg von den Duracell-Support-Hampelmännern“ hat sich bezahlt gemacht.

  9. Nanana, mal nicht verallgemeinern, sonst schreibe ich Ihnen noch Ultra-Potential zu am Ende!
    Immerhin stehen da auch so Schnarchnasen wie Herr Curi0us. Und ring2. Und die eine oder andere Hampelfrau.

  10. Nicht böse sein, ich kann halt mit organisierter Freude und „undjetztalle!“ einfach nichts anfangen. Das ist mehr so was für Leute, die auf 1 und 3 klatschen, finde ich… 😉

  11. Wer ist hier böse? Von mir aus können Sie „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ trällern, wenn Sie mögen, ich bin da nicht so verkrampft.

  12. Pingback: Fanrechte: die Freiheit der Andersdenken und USP « Fabulous Sankt Pauli

  13. Kiki, ich kann deinen Frust verstehen, auch, dass einem die Lust vergehen kann, nur: Der Verein gehört nicht den Blockierern, sondern uns allen! Nicht vergessen. 😉 Viel Spaß in der Nord, es ist schön dort.

    Curi0us, mir geht und ging es auch nicht darum, mich gegen USP zu positionieren. Es ist nur der Sammelbegriff, weil ich keinen besseren habe. Tja, FCSR… schaun wa mal.

  14. Sorry, für den großen zeitlichen Abstand, aber ich bin etwas überlastet gerade 🙂

    @Kiki ach, ich geb mir leidlich Mühe mir nicht von Idioten „meinen“ Verein kaputtmachen zu lassen. Das klappt an sich auch immer, solang ich nicht daran gehindert werde, zu machen, was ich möchte…

    @Jeky nana, das mit der Hampelfrau merk ich mir 😀

    @Piet Immerhin gibt es inzwischen ne brauchbare Aussage vom Verein (in Form von Sven Brux). Mal schauen, was da noch so kommt…

  15. @Kikki:

    Vorsicht, Feind liest mit 😉 – bevor Du Dich im Bezug auf meinen Kommentar drüben in der Opferrolle allzu wohl fühlst:

    Es ging mir nicht darum, Dir „Fremdenfeindlichkeit“ zu unterstellen, was auch immer das ist, Du bist mir auch fremd, völlig sogar.

    Es ging mir um dieses Basteln von Eigengruppe/Fremdgruppe mit der damit verknüpften Forderung, die „uneigentlichen“ Fans, die Ultras, sollten ein für allemal aus den Stadien geschmissen werden. Heidegger muss man ja nun nicht gelesen haben, das gebe ich zu …

    Das ist doch spiegelbildlich das, was völlig zu recht von „euch“ den Ultras vorgeworfen wird, und daran krankt es nun gerade aktuell, an diesen wechselseitigen Zuschreibungen, anstatt sich vielleicht mal auf die HANDLUNG, die völlig falsch war, nämlich die Blockade, zu beschränken, diskutiert man Gruppeneigenschaften. Ich ja auch immer mal wieder, aber das wirft einem ja leider keiner vor 🙁 …

    Und ob man nun „Deutschland den Deutschen“ oder „Das Stadion den eigentlichen Fans“ bei gleichzeitiger Definitionshoheit darüber, was denn nun die „eigentlichen“ sind, proklamiert, und das noch mittels des Postulates einer „Überwucherung“ durch Ultrakulturen, das ist STRUKTURELL nun wirklich nicht weit weg voneinander. So war das gemeint. „Wir hier – die da“.

    Da sich aber sowieso der Großteil der Diskutierenden aktuell auf Sven Brux‘ Intervention einigen kann, zum Teil (!!!) dann noch mit den zwei Ergänzungen von Biber und Hamp oder so ähnlich, die nach Punkten gegliedert im gleichen Thread zu lesen sind, ist doch heute schon viel erreicht auf dem Weg zu Multiindividualität, für die ich ja auch plädieren würde, oder?

  16. Vorsicht mit den Strukturen (dann eben auch hier noch mal)! Doch, da sind erhebliche Unterschiede, und die Empörung über Ultras hat mit Fremdenfeindlichkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun! Allein die Schaffung einer assoziativen Nähe empfinde ich als, wie drücke ich es milde aus, unappetitlich.

    Lieber mal bei Pathos lesen, bitte: http://pathos93.wordpress.com/2010/03/30/aufeinander-zugehen/

  17. Nee, nix da „Vorsicht mit Strukturen“, das sind welche, die ich sehr gut kenne … das hat sehr viel genau damit zu tun und mit nix sonst. Assoziativ ist das auch nicht, Baby.

    Und „unappetitlich“ ist auch schon wieder so ein Wort, dass nur zeigt, aus welcher Ecke das kommt, Herr Piet.

    Pathos lese ich gerne.

  18. Ah, gut, weil du die Strukturen gut kennst, hast du Recht und ich Unrecht. Das ist ein Argument, dass ich natürlich einsehe.

    Der Eingebung folgend: Wer nach den Erfahrungen der Blockade, der nicht-legitimierten Machtausübung mit der faktischen Macht des Stärkeren jene dann ausgesperrt wissen möchte, wenn Gespräche nicht fruchten, also als ultima ratio (!), wer das also fordert statt sich selbst zurückzuziehen und damit den Verdrängungsprozess zulässt, statt für seine Rechte einzustehen, ist nicht das Opfer, sondern der Rassist. So strukturell gesehen. Schon klar…

  19. @Piet:

    Nein, Du nimmst gar nicht zur Kenntnis, was ich schreibe. Dann könntest Du das wahlweise überzeugend finden oder mit Gründen zurück weisen, auf die ich reagieren könnte, weil Du ja Recht haben könntest. Das tust Du aber gar nicht.

    Was ich von der Blockade halte, das habe ich doch geschrieben. Ich käme gar nicht auf die Idee, diese Aktion zu verteidigen.

    Du projizierst.

  20. Dann verstehe ich deine behauptete (strukturelle) Nähe zum Rassismus nicht. Es geht doch gar nicht um „Stadion uns, Ultras raus“. Also mir zumindest nicht, auch wenn sie mir oft gehörig auf den Keks gehen. Im Gegenteil geht es um ein Mit- und Nebeneinander verschiedener Gruppen mit verschiedenen Vorstellungen vom Fan-Sein.

    Die Ausschlussforderung artikuliere ich nur dort, wo Einzelne für sich das Recht in Anspruch nehmen zu dürfen glauben, sich über andere zu erheben und — das meine ich mit ultima ratio — davon auch nicht abgehen wollen.

    Nun argumentiertest Dajan bei Markus drüben (ich hole jetzt doch mal etwas weiter aus), dass genau das die Blockierer gegenüber jenen behaupten, die das Stadion betreten wollten: Quasi Streikbrecher, die ihnen das Recht auf Auswärtsfahrten nehmen wollten, indem sie sich nicht für Fan-Rechte einsetzten, sondern es im Gegenteil hintertrieben.

    «Die Aktion der Ultras ist ein perfektes Beispiel für die Problematik, die zwangsläufig beim Aufrechnen individueller Freiheiten entsteht. Kann man sie gegeneinander aufrechnen? Welche Freiheit wiegt schwerer: Die von mehreren hundert Fans gestern oder jene von allen potentiellen Auswärtsfans in der Zukunft?»

    Abgesehen von falschen Zahlen (paar Hundert) und der schwierigen Definition von dem, was Fan-Rechte wohl seien (s. dafür auch drüben), setzt o.g. Argumentation zwei Dinge voraus: 1) Auswärtsfahrten werden zukünftig tatsächlich beschränkt auf Grund des geschaffenen Einfallstores am Sonntag; 2) Die Gegenargumente anderer Diskutanten sind falsch.

    Ersteres ist nicht exakt vorhersehbar, höchstens abschätzbar auf Grund von Erfahrungen, aktuellen Entwicklungen, Prognosen. Kann man diskutieren. Zu Blockieren (also Gewalt anzuwenden, wenn auch passive) bedeutet aber, die eigenen Argumente höher zu bewerten als die Anderer, sich also nicht weiter argumentativ um Mehrheiten, Allianzen, Solidarität zu kümmern oder Aktionen zu ersinnen, die effektiv auch ohne die Mitwirkung aller Fans hätten sein können (z.B. einen nicht zu betretenden Bereich mit Klebeband zu markieren und um Teilnahme zu bitten), sondern sie qua Macht des Stärkeren durchzusetzen (hiermit kritisiere ich die Blockade also auch jenseits des Gefahren-Arguments).

    Sollte es also, statt Bewegung in dieser Frage, ein Beharren auf dieses Recht geben (bei gleichzeitigem Anspruch der Verwaltung der Süd als ihre Kurve), sich wichtiger zu nehmen als Andere (die m.E., gerade und erstrecht bei Kartenknappheit, auch ein Recht auf Süd haben und ihre Art des Supports, trotz „ab in den Süden“-Flyers), und dieses auch zukünftig so durchsetzen zu wollen, dann plädiere ich für einen Ausschluss zum Schutz der Rechte der Anderen.

    Das hat für mich — auch strukturell — nichts mit Rassismus zu tun. Weiter:

    Ein anderer Punkt sind die Aktivitäten USPs selbst, also das z.B. (neben vielen positiven Dingen, die ich persönlich auch sehe), was viele gerne als Fischerchöre bezeichnen (ich ja auch). Hier stehen sich verschiedene Vorstellungen des Supports gegenüber, die sich z.T. gegenseitig ausschließen. Hat mit Sonntag nix zu tun, wurde da nur wunderbar sichtbar. Nun denke ich (persönlich), dass die Art des Ultra-Supports eben auch Teil der Veränderung ist, die das Millerntor eben ausmachen, auch wenn es nicht „meins“ ist und mein geliebter britischer Support (durch die Dominanz des Ultra-Supports) ein Stück weit auf der Strecke bleibt.

    Ich kann aber (und hier kommen wir nach und nach wieder zum Sonntag) auch die verstehen, die davon supergenervt sind, die darüber hinaus die Überheblichkeit vieler Ultras erleben, in der Süd wie auch auswärts, die z.T. deftig übel beschimpft werden, wenn sie nicht im Gleichschritt-marsch supporten, die das Karten-Debakel erlebt haben und jetzt noch die das Fass zum überlaufen bringende Blockade gegen eigene Fans, gegen sich selbst nämlich, gegen Alte, Kranke und Schwache, bei gleichzeitiger (zumindest trotz gegenteiliger Beteuerungen so empfundener) Solidarisierung mit anderen Ulltras (was den ganzen Hool-Bereich einschließt: Ausgerechnet HRO!), dass die also dermaßen die Nase voll haben, angepisst sind, dass sie die Ultras, ihren Einfluss (den sie unzweifelhaft haben) zurückgedrängt wissen wollen, weil sie sich selbst an den Rand gedrückt, missbilligt, z.T. auch verachtet („Event-Fan“) fühlen. DAS nun auch nur strukturell in die Nähe des Rassismus zu rücken, obwohl es eigentlich um Missverständnisse geht, Kommunikationsdefizite (die sich auch USP-wir-reden-nur-im-LIZ zuschreiben lassen muss), um das Ausloten von Interessen, um Verstehen und v.a. gegenseitige Rücksichtnahme: eben jenes Neben- und Miteinander (statt so empfundenen Über-/Unterordnens), finde ich unlauter und trifft nicht im Geringsten den Punkt, um den es tatsächlich geht.

    Ultra-Kritiker sind genauso wenig Rassisten wie Ultras Faschisten sind, auch wenn es bei Beiden prinzipiell Beides geben mag.

    So long.

  21. Kleines P.S.: Das alles natürlich (Agieren gegen die eigenen Fans und empfundene Solidarität zu HRO-Ultras) ist zu betrachten unter dem Aspekt zunehmender Ausschreitungen auch in anderen Vereinen und das Argumentieren bzgl. Fan-Rechten ausgerechnet mit Verweis auf jene Vereine, die genau durch diese Ausschreitungen aufgefallen sind (Berlin, Nürnberg, Köln, …), sowie der besonderen Historie St. Pauli vs. Rostock. Da steckt die gehörige Angst dahinter (Gewalt- und Pyro-Diskussionen), sich dieses auch zunehmend ins eigene Stadion zu holen, sondern als die eigentliche Gefahr für mögliche Beschränkungen bei Auswärtsfahrten zu sehen. Wie berechtigt das ist, wäre noch mal ’ne eigene Diskussion (eine von vielen…).

  22. @Piet:

    Ich hatte konkret auf den folgenden Kommentar von Kiki reagiert:

    „Für mich bleibt die Frage, wie man diese Ultras dauerhaft wieder los wird und das Stadion den eigentlichen Fans zurückgibt. Man könnte da auf die Wirkung ihrer eigenen Unfähigkeit in Verbindung mit einem Machtwort seitens des Vereins hoffen.“

    Das ist ja was anderes, als das, was Du hier gerade ausführst, was ja alles diskussionsfähig ist.

    Strukturanalog ist da die Behauptung der „Eigentlichkeit“ – die wahren Deutschen und die „Reingeschmeckten“, die man raus schmeißen solle. Strukturanalog ist auch die Generalisierung von Positivstereotypen bei der eigenen Gruppe und von Negativstereotypen bei der „Fremdgruppe“. Das ist eine These des Soziologen Norbert Elias, dass es diesen Mechanismus gäbe, die wahnsinnig oft in der empirischen Wirklichkeit zu beobachten ist, dass so soziale Prozesse so verlaufen. Und „Fremdenfeindlichkeit“ ist noch was anderes als Rassismus, übrigens.

    Zudem die Anrufung der Autorität „Verein“ eben auch so eine Sache ist. Wobei ich Svens Statement ja prima finde, das vom Fanclubsprecherrat heute hingegen sehr problematisch.

    Was Du gerade ausführst ist was völlig anderes. Da geht es um Gründe und Handlungen und schon auch Haltungen bei den Ultras, wo mein Appell lediglich darin besteht, die Haltung nicht spiegelverkehrt zu übernehmen.

  23. Das Statement von Sven Brux geht in Ordnung.
    Das Statement vom FCSR legitimiert weiterhin die Blockade und beklagt nur den medialen Fail.
    No retreat?
    No surprise.

  24. @momorulez
    Kaum setzt man an, was über etablierte und aussenseiter zu schreiben, kommst Du daher..(Elias).

    Der *strukturelle* Vergleich ist tatsächlich halbwegs zulässig. So funktionieren Gruppen – platt gesprochen – meistens. „Wir“ vs. „Die anderen“.

    Ich finde es ziemlich polemisch hier ausgerechnet den Vergleich zu ziehen, den Du ziehst. Aber bezogen auf die *Struktur* ist er sicherlich formal ziehbar. Wie gesagt – so funktionieren Gruppen. „Ihr“ vs. „wir“.

    @piet
    ich denke ihr diskutiert aneinander vorbei. Das eine ist der soziologisch/theoretische Ansatz, das andere ist der persönlichere, involviertere.
    Es geht – so nehme ich @momorulez wenigstens wahr – nicht darum, das als „rassismus“ zu bezeichnen, es geht darum, vergleiche in der Struktur des Handelns (eben – siehe oben „Ihr vs. wir“) zu ziehen.

    @Jeky
    Tja. Überlegt was darüber zu schreiben, aufgegeben. Am schlimmsten finde ich das beharren auf „Kommunikationsproblemen“. NEIN himmel, es geht nicht darum, dass wir alle nicht gewusst hätten, worum es geht.. es geht darum, dass wir eine andere Meinung/Perspektive/Whatever dazu haben. Solang das nichtmal in Erwägung gezogen wird, kann ich die Diskussion kaum noch als solche bezeichnen.

  25. Na, der FCSR beklagt vor allem die – aus ihrer Sicht – Entsolidarisierung in Fragen des Protestes innerhalb der Fanszene und insofern so etwas wie eine „WerteverfalL“ hinsichtlich dessen, wofür der FC St. Pauli stehen sollte.

    Ich finde das aber auch ziemlich enttäuschend hinsichtlich dessen, was da zur Blockade geschrieben steht. Da sind wir uns sogar mal einig.

  26. @curiOus:

    Danke für das Verständnis und den Vermittlungsversuch.

    „Kaum setzt man an, was über etablierte und aussenseiter zu schreiben, kommst Du daher..(Elias).“

    Das ist so was wie eine nur bedingt frei gewählte Lebensaufgabe von mir, da immer gleich reinzugrätschen 😉 …

  27. Ich habs nur im Forum kommentiert, ich warte jetzt noch die vom Fanladen, von USP und die abschließende vom Verein ab, dann denke ich drüber nach, was das alles für mich bedeutet in letzter Konsequenz.

  28. als seltener fussballkonsumierer wage ich auf diesem expertenblog trotzdem die frage: was um himmels willen ist eine „bezugsgruppe“? irgendwas mit wiedereingliederungshelfer (bezug = beziehung) für gefallene hooligans? 😉

  29. „Die Bezugsgruppe“ ist der stabilisierende Faktor, wenn man im Stadion sonst keinen Halt mehr findet, insbesondere nach unbotmäßigem Konsum alkoholhaltiger Getränke auf Grund gewonnener, verlorener, zu langweiliger oder zu aufregender Begegnungen. 😉

  30. Gut gesagt, es ist einfach unglaublich wie sich die Lage momentan entwickelt. Was sind denn das für Fans, die glauben mit solchen Aktionen irgendetwas erreichen zu können? Am Ende sind wieder gerade diejenigen die Leidtragenden, die sich wirklich für den Fußball interessieren.

  31. Pingback: Präsidentenwahl im Namen Gottes : Curi0usities

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