Alles bekloppte Bauern…

Ich bin ja ein Stadtkind. Also so zwischen Rotklinkerbauten, S-Bahngleisen einem Sportplatz, zwei Turnhallen und ner Sandkiste groß geworden. Wenns mal in den Schrebergarten meiner Eltern ging, von Unkraut, Him-, Brom- und Erdbeer-Pflanzen weiiit ferngehalten. Es sei denn zum naschen.
Hätte man mich früher gefragt, was ich später mal so machen will, hätte ich bestimmt geantwortet “Erntehelfer”.
NICHT!

Ich bin ja ein Stadtkind. Also so Kühe mal vom Auto aus gesehen haben, Schweine primär aus dem Real-Kühlregal kennen (und jetzt auch eher in kleinen äh.. Häppchen).
Enten hab ich mal gefüttert, meist im Englandurlaub vom Boot aus, mit Weißbrot. Aber meine Beziehung zu Ziegen und Schafen war auch eher keine.
Hätte man mich früher gefragt, was ich später mal so machen will, hätte ich bestimmt geantwortet “Landwirt”.
NICHT!

Ich bin ja ein Stadtkind. Also so Atomstrom aus der Steckdose, Wohnung im Mehrfamilienhaus, Straße vor der Tür. Bus im Fünfminutentakt. Urlaub am besten in London, Paris, Madrid. Shoppen, Häuser angucken.
Hätte man mich früher gefragt, wo ich so hinwill, hätte ich bestimmt geantwortet “auf den Bauernhof”.
NICHT!

Aber heute gibt es Farmville! Farmville ist eines dieser lustigen, kleinen Spielchen bei Facebook, die man eine Weile spielt. Oder in dem Fall noch eine Weile. Und noch eine.

Ich weiß nicht wirklich, was den Reiz ausmacht, aber irgendwas hat das Spielchen. Sicher ist auch der Herdentrieb, der menschliche jetzt, nicht ganz unwesentlich. Immerhin spielt gefühlt mindestens die Hälfte meiner Facebookfreunde mit. Nachbarn helfen gehört genauso zum “guten Ton”, wie das einsammeln verlorener Schafe. Ja, man kann schwarze Schafe und braune Kühe adoptieren, hässliche Entlein einsammeln. Die findet man nämlich ab und zu bei sich auf der Farm und dann stehen die im Facebook-Profil. Und die anderen Farmville-Facebook-Freunde können das einsame Viehzeugs dann adoptieren. Man kann sich gegenseitig mit kleineren Goodies beschenken. Und – das ist das hauptsächliche: Pflügen, pflanzen und ernten. Das bringt nämlich Coins und Experience. Und mehr Experience bringt mehr Kram, den man sich kaufen kann (Häuser, Zäune, bunte Heuballen, Windmühlen) und mehr Coins machen, dass man sich das auch leisten kann.

Ach so und das ganze ist getimed. Himbeeren muß ich nach zwei Stunden ernten. Blaubeeren nach vier. Reis nach 12 und Weintrauben brauchen einen Tag. Und wenn man nicht rechtzeitig erntet, verdorrt das ganze und die ganze Arbeit und die Investition (Pflügen und Saatgut kosten) war vergebens. Keine Coins.

Farmville ist toll. Farmville ist im Internet auf dem Land leben. Im Büro auf dem Bauernhof arbeiten. Am Rechner zwischen Schweinen und Kühen stehen. Natürlich sauber, ohne größere Anstrengung und Kosten.

Und wir sind irgendwie alle bekloppt.

Ich plane meine Aussaat so, dass ich weiß in welchen Zeitblöcken ich ernten muss um dann am Rechner zu sein. Und ich bin nicht allein. Wie oft hab ich in den letzten Wochen gelesen “Oh, ich muß jetzt los, sonst bin ich nicht rechtzeitig zuhause um die Blaubeeren zu ernten” oder “Ich meld mich gleich, muss noch ernten”. Aber irgendwie macht das Ganze einfach einen Riesenspaß. Und wenn ich will, kann ich sowieso aufhören. Aber nicht jetzt, ich muß nämlich den Reis ernten.

farmville

Ein Ausschnitt meiner Farm. Man beachte das wunderhübsche FC St.Pauli-Logo aus roten und weißen Heuballen und Holzkisten im Beet links.