Stöpsel im Ohr

Früher war das schon irgendwie anders, oder?

Wenn ich heute an der Bushaltestelle stehe und auf den Bus zur Arbeit warte, stehen da mehrere Jugendliche. Jeder hat Stöpsel im Ohr, aber alle unterhalten sich.
Ich kann mich ja noch daran erinnern, dass wir alle ganz stolz unseren ersten Walkman hatten. Und irgendwie war es dann schon so, dass immer mal einer oder zwei sich mit den Kopfhörern von dem Teil zurückzog. Aber irgendwie haben wir doch nie Musik auf den Ohren gehabt, wenn wir uns unterhielten.

Heute scheint das normal zu sein. Ich frag mich dann immer in welcher Lautstärke die Musik überhaupt noch läuft, weil dass man das Gegenüber sinnvoll versteht ist ja doch recht früh vorbei sonst. Neulich im Supermarkt habe ich dann sogar das Gegenteil gesehen. Mutter mit Stöpseln im Ohr und Tochter (ca. 13) versucht Mutter was zu erklären. Die hört natürlich nicht richtig zu. Immerhin weiß ich jetzt, woher die das heute haben. Bei solchen Eltern.

Neulich bei der Post

Ich bin ja Dienstleister, beruflich, versteht sich…

Und ich vermute mal, dass vielleicht 1/3 aller Deutschen auch irgendwie „Dienstleister“ sind, ebenfalls beruflich, versteht sich. Also das was die Mal mehr, Mal weniger lieben Menschen bei der Post hinter dem Tresen auch sind. Also sollte man meinen, man hat dafür Verständnis, oder?

  • Beispiel 1: 2 Personen vor mir in der Schlange. Person 1 möchte sein Mobiltelefon-Konto (Prepaid) aufladen. Scheinbar muss man dafür bei der Post seine Mobiltelefon-Nummer in das Pin-Eintipp-Gerät tippen, was auch für die Maestro-Karten-Transaktionen verwendet wird. Zweimal (wohl um sicherzustellen, dass man sich nicht vertippt hat). Nun schafft Person 1 dies irgendwie reproduzierbar nicht. Die nette Dame hinter dem Tresen bemüht sich geduldig um ihn, und nach einiger Zeit (ja, mir war auch langweilig), schafft Person 1 es dann tatsächlich seine Nummer einzugeben, das Mobiltelefonguthaben ist aufgeladen. Super!
    Nun Tritt Person 2 an den Tresen und beginnt sich zunächst einmal zu beschweren, dass das ja so lange gedauert hätte. Wie das denn sein könne, dass die Dame hinter dem Tresen so lange bräuchte für so etwas Einfaches. Und überhaupt sei sie bestimmt unfähig oder wenigstens doof.
  • Beispiel 2: Es gibt Päckchen und Pakete bei der Post. Hauptunterschied aus meiner Warte ist zunächst mal, dass Päckchen nicht versichert sind. Es gibt auch Aufkleber, die jeweils sehr deutlich machen, dass sie eben für Päckchen oder Pakete sind. Klebe ich nun einen Paket-Aufkleber auf einen Karton mit Inhalt und bringe diesen zur Post, dann gebe ich damit meiner Meinung nach zu verstehen, dass ich besagten Karton eben als Paket und damit versichert verschicken will. Ich würde nicht damit rechnen, dass mich jemand noch einmal darauf hinweist, dass dies kein Brief, und auch kein Päckchen ist. Spätestens wenn man mir den Preis nennt und ich mich darüber wundere, dass ich mehr als die üblichen 3,90 Euro bezahlen muss, würde man mir vermutlich mitteilen, dass ich dazu eben ein Päckchen inkl. Entsprechenden Aufkleber verschicken müsste.
    Ich kann natürlich auch am nächsten Tag noch einmal vorbei gehen und mich lautstark und unfreundlich beschweren, wie unfähig und unbegabt die Dame hinterm Tresen ist und überhaupt.

Was lässt Menschen so handeln? Warum wird man sofort sinnlos persönlich und unsachlich? Warum erstmal zutreten bevor man (wenn überhaupt) fragt? Am Ende ist man selbst doch vermutlich auch genervter als vorher. Was also bringt es einem? Ich reg mich ja auch ab und an auf, aber so?

Von daher mal ein Plädoyer für mehr Ruhe und ein wenig mehr Freundlichkeit im Alltag:

Keep cool!

Rückzugsgefecht?

Als bekennender Atheist hat man naturgemäß ein eher skeptisches Verhältnis zur Religion als solche. Von daher habe ich Richard Dawkins „The God Delusion“ vor einigen Monaten mit Begeisterung verschlungen (inzwischen auch auf Deutsch übersetzt erhältlich: „Der Gotteswahn“).

Dank Kardinal Meisners Aussage zu „entarteter Kultur“ ist die Kirche ja derzeit wieder gut im Gespräch. Spannend daran finde ich, dass inzwischen selbst die größten Agitatoren der Kirche scheinbar das Bedürfnis haben ein Gefecht zu führen, dass für mich immer mehr wie ein Rückzug wirkt.

Sollte der Gläubige, eigentlich jeder Mensch, nicht glauben, weil er damit das Richtige tut? Sollte er nicht glauben, weil es die Wahrheit ist, an die er glaubt? Weil in der Bibel Gottes Wort zu lesen ist? Eben weil all das an das er glaubt wahrhaftig ist? Eigentlich weil er weiß anstatt zu glauben?

Und dann kommt von Kardinal Meisner dies:

Wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus, und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte
Nachzulesen u.A. bei SPON

Wo also eine Gesellschaft sich Säkularisiert und von der Kirche entfernt, wird sie Kulturlos, verliert ihre Werte.

Anders gesagt: Wir brauchen eine Religion um unsere Kultur und unsere ethisch-moralischen Werte aufrecht zu erhalten. Glaube also nicht mehr des Glaubens wegen, sondern um ein bestimmtes System zu stabilisieren.
Religion nicht mehr weil sie wahrhaftig ist, sondern weil wir sonst amoralisch, rituell, kultisch handeln würden. Weil wir sonst ‚entarten’ (die Diskussion über diesen Begriff überlasse ich gerne anderen).

Früher kam es mir so vor, als hätte die Kirche selbst ein ausreichend großes ‚Ego’, um offen dazu zu stehen, dass sie „Die Wahrheit“ spricht:

„Glaube, was wir dir erzählen, denn wir wissen was wir sagen und was wir sagen ist wahrhaftig!“

Inzwischen fühlt man sich aber scheinbar genötigt, darauf hinzuweisen, dass Religion ja auch kulturell wichtig sei, dass der Gesellschaft etwas fehlen würde.
Nur ist dies keine offensive Argumentation wie einst, sondern eine rein defensive. Es scheint, als gingen der Kirche langsam aber sicher die Argumente aus.
Denn dies ist die krampfhafte Suche nach einem Sinn eines Glaubens, genau so wie viele Gläubige wohl vor allem deshalb glauben, weil sie sonst keinen Sinn in ihrem Leben sehen.
Es ist der Versuch Religion einen neuen, einen zusätzlichen Nutzen aufzupfropfen um Ungläubige zurück zu gewinnen oder wenigstens davon abzuhalten eine Institution die sich im säkulären Westeuropa gewissermaßen überlebt hat, noch weiter in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit zu drängen.
Und leider findet die Kirche mit so was immer noch viel zu oft Gehör, auch bei Nichtgläubigen.

Es ist ein Irrglaube, dass die Religion wenn schon nicht wahr, dann nützlich sei, weil sie die Moral stärke. Solange auch Nichtgläubige dem etwas abgewinnen können, haben die Meisners leichtes Spiel.
Robert Misik in der TAZ

Es bleibt zu hoffen, dass immer mehr Menschen zu ihrem Atheismus stehen.
Es bleibt zu hoffen, dass es immer mehr Menschen gibt, die wie Dawkins den Finger in die Wunden legen und darauf hinweisen, dass es überwältigend viele Argumente gegen einen Gott wie ihn die drei großen Religionen definieren gibt, und nach aktuellem Wissenstand keine dafür.

In diesem Sinne