Ich ist ich ist ich ist

Wer bist Du?“ fragte Ich sich selbst.

Triff mich, wie ich ich bin.

Nur wo. Oder wann.

Bin ich echt, wenn ich beruflich im Termin stecke, „meine“ professionelle Lingo nutze, mehr oder weniger intuitiv „mein“ professionelles Auftreten einsetze?

Tell me lies, tell me sweet little lies

Bin ich echt, privat, mit Lieblingsmenschen, wenn ich was auch immer wie auch immer sagemachetue, dass ich dann halt so mache? „ich hasse Menschen. Volle Verachtung.“. Wenn ich das, was ich an mir besonders gut gar nicht leiden kann zumindest in unaufmerksamen Momenten frei lasse und dafür zu recht liebevoll auf die Nase kriege?

Lieber peinlich als authentisch
Authentisch war schon Hitler

Bin ich echt, wenn ich alleine unterwegs bin und trotz resting Bitch Face und ichhassemenschen zumindest glaube, freundlich zu den Bahnpersonen zu sein, die für „der Zug ist ausgefallen“ und „unser Zug hat derzeit eine Verspätung von 74 Minuten“ eben auch nix können (und eigentlich will ich die Pappnase auf dem Sitz vor mir nur für ihr Gepöbel schlagen).

Ein bisschen zu kalt und zu schön für die Wahrheit

Bin ich echt, wenn ich im Stadion beim Fussball pöbelnd… na ja. (Shoutout an mein Vergangenheits-Ich, dass mal in einer so empfunden sehr zahmen Version davon beim Basketball pöbelte und WIE UNANGENEHM das war).

Es ist wahr, es ist wahr
Die meisten Menschen wollen nicht in Dortmund leben sondern essen

Bin ich echt, während ich das hier schreibe und zwar irgendwie sehr offen bin (glaube ich) und gleichzeitig jeden Satz drei Mal hin&her drehe, anschaue, anpasse oder verwerfe? Jeden Absatz weiter hoch oder runter schiebe, bis der Text das…macht ist sagt kann vermittelt (fühlt!) was ich möchte?

Look into my eyes, can’t you see they’re open wide?

Bin ich echt, wenn ich mit unterschiedlichen Menschen unterschiedlich bin? Jemand unterschiedliches bin. Weil Kontext, gemeinsames, trennendes und keine Ahnung?

A mechanism to suspend the guilt
Is what you will require but still

Am I real?

Die Antwort war ja.

Im Fluss

Irgendwann.

Ich muss Sport machen. Ich bin zu dick. Aber Laufen ist scheiße.“

Dann such Dir doch was, das Dir Spaß macht!“

Heute. Aus dem Wasser gesendet.

Was ist das eigentlich, „Spaß“? Ich bin im Becken, 25m Bahn, schwimmen, Luft holen, schwimmen. Warum mach ich das eigentlich?

Ich muss Sport machen. Ich bin zu dick.

Warum?

Damit ich abnehme.

Warum?

Weil ich dann gesünder bin. Und beweglicher.

Und wozu?

Weil ich dann eine höhere Chance habe, (noch) länger zu leben.

Und wozu?

Ja…Weiß nicht. Weil ich noch… erleben will? Weil…dings.

Was ist der…was ist mein Zweck?

Wer soll den vergeben, wenn ich nicht selber? Alles hat einen Zweck, einen Sinn, einen Nutzen. Ich geh schwimmen um Muskeln aufzubauen und mein Herz-Kreislauf-System zu aktivieren.

Ich will Muskeln aufbauen, weil so mehr Kcal verbrannt werden. Ich will mehr Kcal verbrennen um abzunehmen. Ich will abnehmen, um gesünder zu sein und beweglicher. Ich will beweglicher sein, um schneller Dinge gelöst zu kriegen. Ich will schneller Dinge lösen, damit ich mehr Dinge machen kann. Ich will mehr Dinge machen, weil irgendwie geht’s doch darum, oder?

Warum geh ich zum Fußball? Keine Ahnung. Weil es da gut ist. Warum ist es da gut? Wegen der Menschen um mich rum. Wegen Interaktion. Weil es gelegentlich ganz gut tut, etwas verbindendes zu fühlen und daran teil zu haben. Warum ist das so?

Alles hat seinen Zweck.

Aber alle Zwecke werden von außen vergeben.
Nichts hat einen inhärenten Zweck. Alles ist einfach.

Während ich darüber nachdenke fällt mir auf, dass die Menschen in meinem Leben (für mich!) keinen „Zweck“ erfüllen oder erfüllen müssen. Die sind einfach. Und gehören dazu. Das ist gut so.

Aber sobald es um mich geht, sobald ich über mein Handeln, Denken, Fühlen nachgrüble…warum? Warum Aktion, warum Reaktion, warum Gedanke, warum Gefühl?

Warum die Welt?

Ist halt passiert. Big Bang, Rahmenbedingungen, Zeit, Gravitation, Sterne, Explosionen, neue Sterne, weitere Explosionen, neue Atome, neue Sterne, Planeten, Erde, Aminosäuren, Leben, Menschen. Wir sind einfach so in die Welt gefallen. Wir werden genauso wieder gehen. Und dazwischen?

Momente.

Leben ist die Antizipation von Ereignissen, um uns später daran zu erinnern.

Lebe für den Moment.

Aber was ist das überhaupt, dieser Moment? Wenn ich „jetzt“ denke, wenn ich den Gedanken realisiere, ist „jetzt“ schon lange wieder vorbei. Kein „im Moment“ sondern zeitversetzt. Wir leben drei Momente in der Zukunft. Warten auf…ja, was eigentlich? Beim Schwimmen ist das klar: „Wenn ich das nächste Mal anschlage werde ich 675m geschwommen sein„.

Nicht „Im Moment habe ich 663,535498m hinter mir“. Nie. Und wenn ich das nächste Mal anschlug „Wenn ich das nächste Mal anschlage werde ich 700m geschwommen sein„. Schwimmend. Der Moment – der Anschlag ist vorbei, bevor er begann.

Selbst bei größerem. Wesentlicherem.

Ich weiß nicht, wie viel Prozent die Vorfreude und wie viel Prozent die Erinnerung ausmachen, aber ich weiß, dass sie das sind, was uns trägt.

Nicht „der Moment“.

Der Moment zerfällt zu Staub noch bevor wir ihn erreichen. Staub, der sich frisch oben auf den Berg den wir Erinnerung nennen legt, zentnerschwer bedeckt vom Staub vor dem Staub vor dem Staub.
Und wenn wir pusten, schwebt die letzte Erinnerung noch einmal kurz, bevor sie sich wieder setzt. Bevor die nächste Erinnerung, der nächste Moment sich drüberlegt. Der Berg aus Staub ist groß, schwer und mächtig. Und dunkel.

Wofür also?

Für die Erinnerung? Für den Berg.

Ich blicke selten zurück. Die Vergangenheit war, die Vergangenheit kann ich nicht ändern. Nur, was ich ändern kann ist es wert, sich damit auseinanderzusetzen. Oder? Den nächsten – vielleicht eher den fünftnächsten Moment kann ich beeinflussen. Ich kann jetzt entscheiden hier nicht mehr weiter zu schreiben. Kann entscheiden, was ich schreibe.

Oder?

Es gibt Forschung, die nahelegt, dass unsere Entscheidungen feststehen, bevor wir davon wissen.

Dass wir Entscheidungen unbewusst, vorbewusst, gefällt werden und unser Bewusstsein dann einen Narrativ erstellt. Eine Geschichte, eine Argumentation, warum wir das entschieden haben. Wenn der Schokoriegel im Einkaufswagen liegt, fällt uns ein, dass wir ja noch einen Snack für nach dem Sport brauchen so ungefähr.

Schiebt das den Moment noch weiter in die Vergangenheit? Auf einer Zeitlinie aus Antizipation, vorbewusster Entscheidung, Aktion und bewusster Auseinandersetzung – wo ist da der Moment? Wann ist der Moment? Dieser Moment?

Wir können, wenn wir wollen, jede unserer Aktionen dekonstruieren, jedes Warum fragen und beantworten. Aber sind diese Antworten immer so erstrebenswert?

Warum?“ fragte der Bär.

Weil es so ist.“ sagte der Baum.

Dann ist das wohl richtig so…“ sagte der Bär.

Gastbeitrag: Ich muss das loswerden, sonst platze ich!


Manchmal muss man einfach mal was loswerden. @TantePolly hat mich gefragt, ob ich ihren Beitrag als Gastbeitrag veröffentliche.

Und da ich die Grundgedanken teile – gern. Lesen!

Du sitzt im Kino. Es läuft „Loving“, ein Film darüber, wie Mildred und Richard Loving 1967 einen Rechtsstreit führten und gewannen, der das bis dahin bestehende Verbot von sogenannten „Mischehen“ außer Kraft setzte.

Du sitzt im Kino und bist erleichtert, dass solche Gesetze der Vergangenheit angehören und Rassismus – zumindest vor dem Gesetz – nicht mehr in Ordnung ist.

Und dann triffst du auf dem Heimweg auf zwei junge Männer, denen das so gar nichts nützt. Sie dürften beide so um die 20 sein, der eine vielleicht auch jünger. Die beiden sind POC und stehen drei oder vier Weißen gegenüber und sie streiten sich. Das Ganze scheint jeden Augenblick zu eskalieren und ich mache, was ich immer mache, wenn ich so etwas erlebe: Ich gehe hin. Ich kann einfach nicht anders, als mich in solchen Situationen einzumischen. Nennt dieses Verhalten von mir aus naiv oder größenwahnsinnig! Aber was soll ich sonst auch tun? Es hilft ja mal wieder kein anderer.

Gerade, als ich ankomme, kommt auch die S-Bahn. Die Weißen verschwinden in einen der vorderen Waggons, die beiden Männer nehmen einen weiter hinten und ich folge ihnen. Inzwischen ist mir klar, dass der jüngere der beiden betrunken und nicht gerade in friedlicher Stimmung ist. Der andere versucht ihn mit mäßigem Erfolg zu beruhigen. In einem Mischmasch aus Deutsch, Englisch und einer mir unbekannten Sprache flucht der erste über Germany und giftet, dass wir doch alle Rassisten seien. Der andere bemerkt, dass ich sie beobachte und versucht mir in gebrochenem Englisch zu erklären, dass ich mir keine Sorgen machen soll und sein Begleiter, der mich prompt Rassistin nennt, nichts Böses wolle. Wortlos öffne ich meinen Rucksack, krame einen „Gegen Rassismus“-Sticker raus und reiche ihn ihm, dann setze ich mich zu ihnen.

„I don’t know him, but I don’t want to leave him alone.“ sagt der andere zu mir und sieht mich verzweifelt an. Bis Altona erfahre ich von den beiden, dass beide aus Nigeria stammen, der Nüchterne von den beiden schon etwas länger in Hamburg ist und der andere erst seit kurzer Zeit.

(Nigeria:

  • Todesstrafe auch für Minderjährige
  • Wer sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt, kommt fünf Jahre ins Gefängnis
  • Gefangene (und besonders politische Gefangene) werden gefoltert und Misshandelt
  • Impfen ist in Teilen des Landes verboten
  • Kinder werden verschleppt und zu Kindersoldaten ausgebildet
  • Nicht mal jeder Zweite hat Zugang zu sauberem Trinkwasser
  • Kranke, Arme und Alte sind auf Familienhilfe angewiesen, nur Regierungsbedienstete kommen in den Genuss öffentlicher Fürsorge)

 

Gestern gab es Streit mit anderen Geflüchteten. Die einen waren Christen, die anderen Muslime. Sie stritten sich also wegen ihrer unterschiedlichen Religionen und plötzlich zog einer ein Messer. Der Junge mir schräg gegenüber (er kommt mir mit der Zeit immer jünger vor, aber ich traue mich nicht zu fragen, ob er schon volljährig ist, aus Angst, er könne es sein und dann abhauen), weint und deutet auf eine ca. 10 cm lange Schramme auf seiner Wange. Die Wunde ist nur oberflächlich, schon verschorft und offenbar nicht behandlungsbedürftig, doch ich kann mir lebhaft vorstellen, was für ein Schock es gewesen sein muss, das Messer kommen zu sehen und zu spüren, wie die Klinge die eigene Haut aufschlitzt. Ich reiche ihm eine Packung Taschentücher und sein Begleiter erklärt mir, dass der Junge wohl schon gestern bei der Polizei war, um Anzeige zu erstatten, doch die Beamten schickten ihn mit der Begründung weg, sie könnten ihn nicht verstehen.

(Verdammt nochmal! Mein Englisch ist miserabel und in Nigeria verbreitete Sprachen kann ich auch nicht und ich habe es geschafft, mich mit den beiden zu unterhalten. Wie kann man nur so faul und/oder gleichgültig sein?!)

Der Junge nickt bekräftigend und flucht im Allgemeinen über uns Deutsche, die wir alle Rassisten seien und insbesondere über die Polizei und wirft wutentbrannt die Taschentücher und den Aufkleber auf den Boden. Unsere Blicke treffen sich. Er entschuldigt sich verschämt und sammelt alles wieder ein. Ich streichle über seinen Rücken und er fängt wieder an zu weinen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was er auf seiner Flucht nach Deutschland und davor alles erlebt hat. Oder wie alt er wirklich ist.

Inzwischen stehen wir in Altona am Busbahnhof und der andere und ich schauen uns unschlüssig an. Es ist spät, wir wollen eigentlich beide nach Hause, trauen uns aber nicht, den Jungen hier so alleine stehen zu lassen. Der redet nun davon, nun unbedingt nochmal zur Polizei zu wollen, um Anzeige zu erstatten. Aber was passiert dann? Was machen Polizisten mit einem jungen, offensichtlich betrunkenen, vielleicht noch nicht mal volljährigen Geflüchteten? Und was macht das dann mit ihm? Wir versuchen ihn davon zu überzeugen, nach Hause zu gehen, sich auszuschlafen und den Besuch bei der Polizei auf morgen zu verschieben. Ich schreibe ihm Adresse und Telefonnummer der nächsten Wache auf die Rückseite des Aufklebers und sein Begleiter steckt ihm den Sticker in die Jackentasche.

Apropos: Wo wohnt er eigentlich? Obwohl ich noch nicht sonderlich viel über meinen Stadtteil weiß, bin ich mir sicher, die Adresse ist nicht in Altona. Ich fange an, mich überfordert zu fühlen. Nein. Das bin ich eigentlich schon lange. Ich denke darüber nach, wen ich um Hilfe bitten kann und sehe auf Twitter nach, wer noch wach sein könnte. Doch alle, die noch nicht schlafen, sind zu weit weg und von denen, die in der Nähe wohnen, habe ich keine Nummer oder sie werden vom Telefonklingeln sowieso nicht wach. Während ich mich bei dem Gedanken erwische, das Risiko einzugehen und doch die Polizei zu informieren, stellt unser Begleiter seufzend fest, dass er jetzt sowieso nicht mehr nach Hause kommt und dafür sorgen wird, dass der Junge sicher in seinem Bett landet.

Mit verschämter Erleichterung verabschiede ich mich von den beiden und gehe den Rest des Weges zu Fuß. Sollte jetzt jemand auf die Idee kommen, in irgendeiner Form übergriffig zu werden, hätte er sich einen denkbar schlechten Zeitpunkt ausgewählt. Denn mit jedem Schritt werde ich wütender.

Ich bin wütend auf diese Vollidioten, die sich prügeln, weil nicht alle die gleiche idiotische Religion haben, die sich doch sowieso alle ähneln!

Ich bin wütend darüber, dass Menschen, die vor Krieg, Todesstrafe, Folter, Krankheit und Armut fliehen, hier kaum Möglichkeiten finden, zur Ruhe zu kommen und alles zu verarbeiten und dass Gruppen zusammen in Unterkünfte gesteckt werden, bei denen es sowas von klar ist, dass es Stress geben wird (In und ums Stadion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass gewisse Heim- und Gästefans voneinander getrennt werden und da geht es nur um Fußball)!

Ich bin wütend auf die Leute, die gestern nur einen gewaltbereiten Flüchtling gesehen haben und nicht diesen Jungen, der viel zu früh erwachsen werden musste und darunter leidet! Der Heimweh hat, sich von Gott und der Welt verlassen fühlt und so verzweifelt ist!

Ich bin wütend auf unsere Polizei, der ich nicht mehr zutrauen kann, dass sie fair bleibt, sobald Menschen mit offensichtlichem Migrationshintergrund involviert sind!

Ich bin wütend auf die, die mir besserwisserisch unter die Nase reiben werden, was ich alles falsch gemacht habe in dieser Situation, während sie selbst zu Hause auf dem Sofa saßen und diesen Jungen nicht erlebt haben!

Ich bin wütend auf mich, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte und bestimmt das Falsche tat!

Was bleibt, ist das Gefühl, dass sich dringend etwas ändern muss und das Gefühl der Überforderung, weil sich eh nichts ändern wird, wenn ich es nicht ändere.

Was außerdem bleibt, ist die Frage: Wer von euch Hamburgern gibt mir für das nächste Mal, wenn ich mich einfach nicht raushalten kann, seine/ihre Telefonnummer?