Wie man eine Generation politisiert…

Es gibt immer wieder Ereignisse, die aufgrund ihrer Bedeutung für den Einzelnen, aufgrund der Dynamik, die sie entfalten und aufgrund der medialen Präsenz und damit verbunden dem Informieren vieler weiterer quasi konstituierend für eine “Generation” sind.

Vielleicht erleben wir gerade so ein Ereignis. Vielleicht ist das gestern beschlossene “Netzsperrengesetz” und die damit verbundene Aktivität in der deutschen Web2.0-Welt, die gerade eine Generation begründet hat.

Für mich definitv. Vorher waren es alles irgendwie “Web 2.0-Fuzzis”. Wie ich. Wie Tausend andere. Und unsere Gemeinsamkeiten lagen vor allem darin, dass wir mit diesem Social Web, diesem Selbstproduzieren von Content und dem Austausch mit wildfremden Netzbürgern unseren Spaß hatten.

Und plötzlich ist alles anders. Plötzlich wird nicht mehr (nur) rumgekaspert, sondern plötzlich ist das Web 2.0 politisch geworden. Fast alle bloggen irgendwas zum Thema. Fast alle Twitteruser denen ich folge haben sich schon in irgendeiner Form politisch geäußert. Es gibt unglaublich viele großartige Postings, kreative Ideen, grafische Umsetzungen des Themas, wahnsinnig viel Aktion. Plötzlich gibt es die “Generation C64”.

Was ich selbst daran so erstaunlich finde ist, wie mitreißend diese ganze Geschichte geworden ist. Neben der angebracht starken Kritik am neuen Gesetz hat sich hier nämlich etwas entwickelt, das unsere Regierenden offenbar deutlich unterschätzen (hoffe ich). Dynamik.

René von Nerdcore hat das prima auf den Punkt gebracht: Wir sind 500.000 Teilnehmer im Netz.

500.000 Menschen, die Inhalte erstellen, Meinungen publizieren, ihren Mund aufmachen. 500.000 Menschen, die bisher über Fußball, Apple, iPhones, Gartengestaltung, Autotuning, Wetterprognosen, Beziehungen, Welt, alles geschrieben haben. Jeder für sich. Und jeder für sich hat ein paar Leser, ein paar Leser, die die anderen nicht haben. Und 500.000 Internetauftritte haben Google-Power.

500.000 Menschen, die jetzt eines gemeinsam haben: Eine politische Identität, zu einem besonderen Thema. Die plötzlich merken, welchen Wind, vielleicht auch welchen Sturm sie entfachen können, wenn sie sich vernetzen. Anders vernetzen als bisher. Die ihre digitale Identität mit der realen verknüpfen. Aufstehen, rausgehen, demonstrieren, Briefe schreiben. Meinung haben und Meinung machen.

Und diese 500.000 Menschen werden gelesen. Wer bei Google nach “Netzsperrengesetz” sucht, findet zunächst eines: Blogs und Microblogs wie Twitter.

500.000 Absender mit je 20 Lesern – um das mal Beispielhaft zu machen – sind 10 Millionen.

Was wir gerade erleben ist eine Verlagerung der Deutungshoheit. Selbst die etablierten Presseorgane haben sich zu einem nennenswerten Teil inzwischen zumindest zu den Meinungen und Stimmen aus dem Netz geäußert. Oftmals tendenziell sogar die Meinung geteilt.

Und was dahintersteckt ist einfach nur die Masse. Ich bin nicht wichtig. Und meine 5-10 bloggenden Bekannten sind es auch nicht. Aber 500.000 von uns sind wichtig. Und laut. Und werden wahrgenommen. Und wenn wir wollen, können wir verdammt viel erreichen.

Die große Koalition hat sich jetzt offenbar zum ersten Mal dort eingemischt, wo sie besser auf uns Netzbewohner gehört hätte. Eingemischt, ohne auf die Betroffenen und die Fachleute zu hören. Sie nichtmal anzuhören. Die Petition der 134.000 wurde offenbar nur schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass man nicht einmal die Sitzung des Petitionsausschusses abgewartet hat, bevor man das Gesetz beschließt.

Das damit demonstrierte offensichtliche Desinteresse an der demokratischen Äußerung einer nennenswerten Menge (so viele wie bisher bei keiner anderen Petition) wirft die Frage auf, ob unsere Politiker überhaupt ein Interesse daran haben, der angeblichen Politikunlust meiner Generation entgegen zu wirken.

Doch genau das Gegenteil dieser Politikunlust ist der Fall. Im Moment werden immer mehr Menschen zu politischen Menschen. Im Moment gehen Menschen zu Demonstrationen, die das vorher nie oder nur sehr selten getan hätten. Desinteressierte mischen sich ein.

Ich bin gespannt wie das ganze weitergeht. Aber ich glaube, dass unsere Regierung in den letzten Wochen einen schlafenden Hund geweckt hat. Viele schlafende Hunde. Keinen großen, schweren, gefährlichen Hund, sondern viele kleine, flinke, unabhängige Hunde.

Sollte sich die Generation C64 tatsächlich als “Gruppe” begreifen, sollten wir alle gemerkt haben, welchen gesellschaftlichen Einfluss wir haben können, dann können wir Frau v.d. Leyen fast dankbar sein, denn sie hat den ersten Stein geworfen.

Wir stehen erst am Anfang und sind noch wenige. Aber wir werden mehr. Von Tag zu Tag. Wir werden lauter, älter, erfahrener, reifer, gebildeter, wichtiger.

Dazu lesen:

Die Ennomane erklärt worum es geht.

Metronaut: Freiheit ist es wert, niemals zu resignieren

Nerdcore: Unabhängigkeitserklärung des Internets

In diesem Sinne

We are Anonymous.
We are Legion.
We do not forgive.
We do not forget.
We will be heard.

Expect us.

Danke an Nerdcore für die Inspiration.

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9 Gedanken zu „Wie man eine Generation politisiert…

  1. Toller Beitrag dem ich nur Zustimmen kann.

    Finde es erschreckend, wie denoch eine große Menge Bürger nur dahersagen: „Wieso regt ihr euch jetzt auf, ändert doch eh nichts“ bzw. „Erst nicht wählen gehen und dann meckern“.

    Zumindest hat web2.0 das Hinnahmevolk Deutschland ein bischen aufgeschreckt und bietet nun Jeden der will die Möglichkeit zur Interaktivität.

    Gutachten, Wahlkampfaussagen, genaue Gesetzesdebatten sind diskutierbar und teilweise auch wiederlegbar und müssen nicht mehr nur aus dem Mund des Interpretierenden akzeptiert werden.

  2. Die Frage dabei ist:
    Wir sind also 500.000
    Was bedeutet das im Vergleich zu den Mitgliederzahlen der Bundestagsparteien?
    CDU 530.755
    SPD 529.994
    CSU 165.000
    Die Linke 74.206
    FDP 65.098
    Grüne 44.700

    Wir sind demnach also mehr als die Kleinen. Die Großen sollten wir dann auch bald bekommen.

    Also: Eigene Partei gründen (WEB2.0, die bunten oder so) und den aufmischen.

  3. Super Text!

    Ich war zwar schon vorher sehr politisiert, aber jetzt weiß ich endlich wo ich hingehöre. Dadurch, dass es jetzt gleichzeitig auch tatsächlich eine wählbare Alternative gibt, wird unsere Netzgemeinde noch viel greifbarer. Ich hoffe jetzt wird sich auch in naher Zukunft anderen Themen angenommen, die sich nicht nur um unseren Netzkosmos drehen.

    Einer von vielen….baltasar

  4. Pingback: internet, kinderpornos und die spd | red flog

  5. immerhin hab ich nun ernsthaft zum ersten mal über einen parteibeitritt nachgedacht…

    wenn das nichts ist

  6. Toller Beitrag, vielen Bank dafür!

    Ich freue mich auch über die Dynamik die zur Zeit entsteht. Zusammen können wir alle was bewegen.

  7. Finde auch, diese unsägliche Zensurbestrebung seitens der ReGIERung hat endlich mal so viel Zorn produziert, das es reicht, die Politikverdrossenheitsschwelle zu überschreiten.
    Hoffentlich wächst der Druck weiter.

    Außerdem finde ich’s cool mit 42 in eine Jugendbewegung geschoben zu werden. 😉

    „Man darf nicht warten bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird!“ (Erich Kästner)

  8. Pingback: Mut zur Irrelevanz : Curi0usities

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