Millerntaler continued…

Wie ich gestern ja bereits vorhergesehen hatte, sind alle jetzt zu dem Thema von Vereins- oder Caterer-Seite abgegebenen Äußerungen defensiv. Das Thema wird von der Vorwurfshaltung der Fans dominiert, die das ganze Projekt für Blödsinn halten und zugleich verärgert darüber sind, in welcher Form die Information über dieses neue Zahlungsmittel am Millerntor kommuniziert wurde.

Nun wirken die bisherigen Statements doch arg wie relativ panisches Zurückrudern, weil man den „Fan-Mob“ schlichtweg falsch eingeschätzt hatte. Fokus der aktuellen Öffentlichkeitsarbeit ist die in den Statements mehrfach hervorgehobene fehlende Ausschließlichkeit, wegen der sich die Proteste hauptsächlich erhoben haben.
Der Präsident äußert sich in der Morgenpost und versichert, dass man „bis in alle Ewigkeit“ im Stadion auch mit Euro zahlen könne, nur eben ausschließlich an ausgewählten Ständen. Ich kann mir das nur so vorstellen, dass z.B. jeder zweite Stand dann ein Millerntaler- bzw. Euro-Stand wird. Das ganze soll angeblich den „Zahlungsverkehr vereinfachen und beschleunigen“. Wie genau das funktionieren soll ist mir – und ich glaube vielen anderen auch – äußerst schleierhaft. Wenn es ausschließlich Wertmarken mit definiertem Produkt-Gegenwert (Biermarke- Wurstmarke etc.) gibt, dann hat man zwar an den jeweiligen Ständen einen Vorteil, dafür müssen jedoch vorher ja auch entsprechende Geldmengen in die jeweiligen Taler umgetauscht werden. Und das führt dann zu genau demselben Aufwand wie vorher das Bezahlen am Stand. Dazu kommt aber eben auch noch der Rücktausch nach dem Spiel. Gerade Stadionbesucher die nur ab und zu mal im Stadion sind werden nicht zwingend Euroweise Taler mit Heim nehmen wollen, die sie vielleicht später mal nutzen können. Zudem ist der logistische Aufwand für den Fan wesentlich größer, da er sich im Prinzip vor dem Spiel bereits entscheiden muss, wie viel und was er später konsumieren will.

Die ganze Kommunikation ist jedenfalls ziemlich daneben gelaufen. Ich vermute allerdings, dass es eine Art Konzept gab, dieses jedoch nicht umgesetzt wurde. Gestern stand noch in der Zeitung, dass der Präsident verärgert darüber sei, wie das ganze öffentlich gemacht wurde. Das spricht sehr deutlich dafür, dass es eine Planung gab, von der nun abgewichen wurde.

Anyway, bisher gab es immer noch keine überzeugenden Argumente für den Millerntaler, aber es bleiben die Vorbehalte. Und die Aussage dass man ewig mit Euro bezahlen könne wirkt nicht vollständig glaubhaft. Denn so wird das ganze Konzept hinter dem Taler noch wackliger. Entsprechend halte ich das für die entsprechende Reaktion auf die sich formierenden Proteste.
Nur: Dann ist damit zu rechnen, dass über kurz oder lang die Euro-Stände immer weniger werden. Da bieten sich dann ja auch „Argumente“ aus der Praxis. Immerhin funktioniert es dann bestimmt an den Millerntaler-Ständen besser, die Eurostände machen weniger Umsatz etc.. Und schlimmstenfalls gibt es dann pro Stadionbereich noch einen kleinen Stand an dem man seine Euro los wird. Man hätte es doch versprochen Aber auch da ist die Akzeptanz dann unter Umständen schnell nicht mehr groß genug und im Interesse aller hat man dann eben auch dort nur noch Millerntaler.
Wohlgemerkt halte ich das nicht für „im Interesse aller“, aber ungefähr so stelle ich mir die aktuelle Strategie dahinter vor.

Gewünscht hätte ich mir bei dem ganzen vor allem etwas mehr Offenheit. Ich persönlich finde das Ding zwar grausam, aber wenn es denn nachvollziehbare Argumente dafür gibt wäre das ganze anders gelagert gewesen. Und für mich wäre selbst ein rein auf den Profit ausgelegtes Argument unter gewissen Umständen noch tragbar, aber dazu müsste ich es eben erst einmal kennen.

Von daher bleibe ich dabei – Marketing setzen, 6!

Deutungshoheit und Marketing

Wie ich ja gestern bereits kurz notierte, plant der FC St. Pauli die Einführung des „Millerntalers“.
Die Resonanz dazu aus (Online-)Fankreisen ist durchweg negativ (u.A. bei theboysandeve und beim Fanclub Hafenklang). Und dies wäre – selbst wenn man nur wenig über die Fanszene weiß – vorhersagbar gewesen.

Da das ganze ja eine Marketing-Aktion ist (sicherlich nicht ausschließlich, aber das Verteilen von Flyern etc. ist definitiv Marketing) sollte also auch jemand daran arbeiten, der wenigstens ein grundlegendes Verständnis von den damit verbundenen Prozessen hat. Heißt, man informiert nicht nur oberflächlich wie mit dem Flyer geschehen, sondern verkauft auch (Warum machen wir das? Warum ist das auch für dich, lieber Kunde, gut etc.). was man da gerade vermitteln will. Man flankiert das ganze mit Berichten, Informationen, Websites, Aktionen. Gerade (!) wenn absehbar ist dass die Reaktion darauf nicht überschwänglich begeistert ist.

Inzwischen ist die Information bzw. der Flyer ca. zwei Tage alt und es gibt online bisher ausschließlich inoffizielle Quellen. Und wie das so ist fast ausschließlich Meinungen, die wie oben ja schon angemerkt eben negativ geprägt sind.
Wer also mal „Millerntaler“ bei Google eingibt, bekommt zurzeit 10 Ergebnisse. Die sind, mit Ausnahme der Hamburger Morgenpost (die von „Spalten der Fanszene spricht“ – dabei scheint innerhalb der Fanszene eigentlich keine zweite Meinung außer „dagegen“ zu existieren), vollständig fangeprägt. Also negativ, ablehnend.

  • Es gibt online keine Quelle, die aus Vereins-/Caterer-Perspektive über dieses Ersatzzahlungsmittel berichtet.
  • Es gibt auf der offiziellen Club-Homepgae keine Informationen zum Millerntaler (nicht auf der Startseite, nicht über die Suche).
  • Es gibt auf der Agenturseite keine Infos zum Millerntaler.

Gar nichts.

Auf dem Flyer (auf dem zudem ein peinlicher Rechtschreibfehler* zu finden ist) ist zwar eine Emailadresse notiert, an die man sich wenden kann, aber es gibt keine weiteren Quellen zum Taler.

Und nun beginnt die Welle: Fans organisieren sich, es gibt wie berichtet eine Boykott-Unterschriftenliste. Weitere Aktionen werden geplant.
Die „gemäßigten“ Stimmen, die zunächst einmal die Argumentation vom Verein abwarten wollen, bekommen ein schlichtes Zeitproblem, weil diese Argumentation auch zwei Tage später nicht vorliegt.
Der Zeitraum ist inzwischen einfach zu groß. Jede jetzt noch folgende Begründung wird defensiv erfolgen müssen und ist damit automatisch schwach.

Von einem Verein der sonst für seine Marketingaktivitäten (vor allem von „objektiveren“ Stellen als aus der Fanszene) eher gelobt wird ist das meiner Meinung nach ein Armutszeugnis. Man überlässt bei einer absehbar kritischen Kampagne die Deutungshoheit von Anfang an der Zielgruppe ohne sich selbst dazu zu positionieren. Es wäre leicht gewesen vorab auf der Homepage des Vereins schon einmal die Argumentation (so es denn überhaupt eine gibt) zu installieren, der Presse die Information zukommen zu lassen, etc.. Selbst über die Art wie diese Information verbreitet wird, lässt sich die Stimmung in der Zielgruppe ja beeinflussen. Passiert ist – wenn man sich das „Ergebnis“ anschaut – jedoch bisher gar nichts.

Man gibt von Anfang an das Heft aus der Hand und wird nun gezwungen zu reagieren statt vorher eigenständig zu agieren.

Und das, das ist dann in der Summe schlechtes Marketing für ein von vorneherein unnützesriskantes Projekt.

*Ja, Rechtschreibfehler mache ich hier auch genug, aber das hier ist keine Druckvorlage, es gibt kein Lektorat und keine Korrekturleser. Bei Profis sollte so was auffallen und vermieden werden. Von daher fügt sich das ins Gesamtbild ein.

Edit: Hier noch mal der Link zur Petition

Anti-Millerntaler Banner