Kein-Saisonkarte-Kein-Heimsieg-Wochenende

Nachdem das ganze etwas gesackt ist, äußere ich mich dann auch mal (zu spät?) zum letzten Fußballwochenende. Den Anfang machte das samstägliche Anstehen für die neue Saisonkarte. Warum das so ist steht zum einen bei den das ganze organisierenden Ultras, an sonsten kann man aber auch hier nachlesen, wie es mir letzte Saison erging.

Schlangestehen.

Eigentlich ließ sich der Tag recht gut an, nach dem Treffen mit der Bezugsgruppe gegen kurz vor 10, schlurften wir inklusive des von Frau Jekylla und mir bestückten und von Herrn Sparschäler zusammengebauten Grill-Bollerwagens rüber zum Millerntor und reihten uns in die Schlange ein. Das Ende der Schlange, also zu dem Zeitpunkt unsere Position, war zwar schon recht weit hinten, aber vorsichtige Schätzungen der Menschenmenge vor uns führten zu Zahlen um die 1.600 oder 1.800 Personen, auch da die Schlange noch sehr entspannt mit großem Abstand zwischen den einzelnen stand, und zudem meist maximal 2 Personen breit war.

Für Ortskundige: Die Schlange ging vom Eingang ins Clubheim in der Südkurve über den Vorplatz um das T-Com-Gebäude herum bis zur Gegengerade, wir standen zu Beginn etwa auf Höhe der Strafraumgrenze Süd.

Auf Höhe des T-Com-Gebäudes fingen wir dann an den Grill vorzuheizen. Würste, Fleisch und Nudelsalat wurden gereicht. Ein kurzer Besuch des Hof-Fotografen wurde noch von Jubel begleitet. Langsam und inzwischen gesättigt ging es voran. Gegen ca. 14:00 Uhr erreichten wir die Ecke zum Südkurvenvorplatz, gegen ca. 15:00 Uhr standen wir noch ca. 25 Meter vom Clubheim, in dem es die begehrten Karten gibt, entfernt.

Ungefähr jetzt fing die schlechte Laune an. Durchsage, dass alle Karten vergriffen sein. Entsetztes Schweigen. Frustriertes Zusammenpacken der eigenen Sachen. Heimfahrt. Ich ignorierte für den Rest des Tages alles zu diesem Thema und versuchte mich in brauchbarer Laune.

Schön, als ich dann am Sonntag am Treffpunkt zum Heimspiel gegen die Arminia aus Bielefeld stand und mir erzählen ließ, dass wohl ca. 300 bis 700 Personen sich nachträglich in die Schlange integriert hätten. Klar. Man kann sich vorne zu Freunden und Bekannten stellen. Reicht ja, wenn einer den Platz freihält. Ich persönlich hab zwar nichts beobachten können, stand ja eher weiter hinten, aber die Menge derjenigen, die sowas beobachtet haben, spricht dafür, dass die Schätzungen nicht aus der Luft kommen. Toll. Das ist mein St. Pauli. Nicht. Wobei das kein St. Pauli-Phänomen ist, aber das nur am Rande.

Fußball.

Naja, mit entsprechend geladener Stimmung ging’s dann ins Stadion. Das von USP genutzte Wörtchen “Schnarchnasen”, im Bezug auf Support der nicht ihren Vorstellungen entspricht, waberte durch die Luft, die Enttäuschten, zu denen ja auch ich und meine Bezugsgruppe gehörten, waren naturgemäß immer noch traurig, dass sie nächste Saison die Kurve wohl überwiegend von außen sehen würden. Das Spiel tat dann ein übriges dazu, die Laune nicht besser werden zu lassen. Die erste Hälfte war weitgehend zu träge, zu wenig dynamisch, um zu begeistern. Dazu das ärgerliche, aber nicht unverdiente Tor der Gäste… Naja.

Nach dem Wiederanpfiff dann mehr Power, mehr Drängen auf das Tor der Bielefelder, leider ohne Erfolg. Im Moment ist eben auch Fußballerisch der Wurm drin. Hmpf.

Was bleibt? Ein 0:1 nach Neunzig Minuten.Ein nur noch dritter Tabellenplatz (stand heute: Relegation gegen Nürnberg). Ein irgendwie – wenigstens offensiv – im Moment verunsichert wirkendes Team. Zwei Sperren (Lechner und Lehmann) für das Spiel in München.

Nachwehen.

Irgendwie nervt mich das Ticketing bei St. Pauli ja ungefähr, seitdem ich meine erste Dauerkarte hatte. Das war in den frühen Neunzigern, müsste 1991 gewesen sein. Damals war die Dauerkarte noch ein Stück Din A 6 Pappe, mit ein paar abzuknipsenden Feldern am Rand. Irgendwann später gab es dann eine Maschine, die das ganze laminierte, was der Haltbarkeit diente. Das Ding wurde kleiner, und seit sowas wie 4 Jahren gibt es jetzt tatsächlich Scheckkartengroße Plastikkärtchen. Seit 4 Jahren passt die Dauerkarte ins Portemonnaie.

Dass es seit ca. 15 Jahren das Internet gibt, ist am Verein dagegen vorbeigezogen. Online-Service? Fehlanzeige. Während man beim anderen hamburger Verein sein Vorkaufsrecht online ausüben kann, muss man bei uns persönlich vorbeischauen. Während man nebenan sein Eintrittsrecht per Dauerkarte für nicht besuchte Spiele weiterverkaufen kann, online, ohne dass man die Karte weitergeben muss, gibt es bei uns nur die AFM-Ticketbörse.

Bei uns gibt es 600 Südkurven-Karten für jedes Heimspiel. Im freien Verkauf. Wie bekommt man die? Anstehen. Wir sind ja sooo anders. Aber anders ist ja nicht immer und zwingend toll.

Okay, das Problem “weniger Karten als Interessenten” behebt man damit natürlich auch nicht, aber man würde sich trotzdem einiges an Generve ersparen.

Und sonst so?

Drüben bei Santapauli gibt’s gerade eine sehr persönliche Abrechnung mit dem FC St. Pauli. auch sonst hab ich in den letzten Tagen vieles Gelesen, was den Tenor hatte “dafür geh ich nicht dahin”. Ich weiß ja nicht so recht.

Warum geh ich eigentlich zum FC St. Pauli? Weil ich Fan bin. Was macht für mich das Fan sein aus? Hm, nennen wir es mal Liebe zum Verein. Natürlich kann sich die verändern, oder man entliebt sich irgendwann. Aber deshalb? Wer aufmerksam im Stadion stand hat schon Anfang der Neunziger mehr Idioten als Vernünftige vorgefunden. Mehr betrunkene, gewaltbereite, homophobe, als einem lieb sein konnte.

Tolerant, liberal, weltoffen waren immer nur einige. Ja, es war früher ein Kontrast zu den Nazispinnern in einigen anderen Stadien, ja, es gibt auch heute noch Dinge, die uns abheben. Aber zu mindestens 90% sind und waren wir immer schon ein ganz normaler Verein. Kult? Kult. Ein Label. Mehr nicht. Und selbst bei den “Besserfans” existiert schon seit damals ein für mich zum Teil unerträglicher Linksdogmatismus. Toleranz, die nur dann gelebt wird, wenn sie auf etwas trifft, dass in das eigene Wertebild integrierbar ist.

Beispiel gefällig?

Bei Kiki in die Kommentare linsen. Wer Golf spielt ist automatisch FDP-Wähler, wer FDP wählt hat automatisch nichts im Stadion verloren. Danke. Selbstentlarvend, irgendwie.

Leider bleibt das nicht bei Einzelpersonen stehen. Wer sich die “Südkurve” durchliest, das Organ mit dem die Fans auf derselben über anstehendes und vergangenes informiert werden, bekommt den Eindruck, es mit einem elitären, abgehobenen Haufen zu tun zu haben. Wer nicht 90 Minuten das singt, was man vorgibt, ist eine – siehe oben – Schnarchnase. Folge unserem Vorbild, oder verlasse die Kurve. Steht da so, oder so ähnlich.

Dass die Südkurve eine Supportkurve sein soll, tragen glaube ich alle. Aber dass inzwischen größere Gruppen versuchen auch noch die Art des Supports vorzuschreiben, na danke. Das ist (leider) mein St. Pauli.

Schuldzuweisung

Irgendwer ist natürlich immer Schuld. Wir sind Schuld, dass wir keine Karte bekommen haben, weil wir schlicht zu spät waren. Weil wir den Andrang unterschätzten. First come, first Serve. Soweit, so in Ordnung (und trotzdem doof).

Ist USP schuld? Ich meine nicht. USP ist in der Position, in die sie der Verein gehoben hat. Verhält sich so, wie sie aus Sicht der Gruppe halt handeln wollen. Tun das, was ihnen am besten erscheint. Klar kann man jetzt sagen, dass die Schlange hätte reguliert werden sollen, aber.. ist das USPs Schuld?

Für mich ist der Verein selbst schuld. Wer zum einen die absurde Idee hat, dass der Verkauf durch die Fans sinnvoll reguliert werden kann, wer zum anderen nicht mal annähernd selbst regulierend eingreift.. Naja. Die “Südkurve” wird man auch beim Verein lesen können. Und entsprechend auch den Tonfall. Ich verlange keine Zensur, aber dass man dann mal darüber nachdenkt, wen man hier zum Kartenverwalter gemacht hat, wäre nicht zu viel verlangt.

Siehe oben: Modernes Ticketing würde einige, aber nicht alle Probleme verringern. Kluger Umgang mit der Situation sicherlich auch. Aber solange bei uns die Eintrittskarten noch gelocht werden, und es keine Lesegeräte gibt, bleibt vieles davon wohl Utopie.

Und jetzt?

Tja. Einen Plan B gibt es nicht so wirklich, bisher. Ab und zu mal das 600er Kontingent abgreifen? Ab und zu irgendwie anders ins Stadion? Oder doch nen Sitzplatz? Allein, ohne Bezugsgruppe? Ich weiß es nicht. Während Erik überlegt, ob er doch als Sponsor einsteigt, fehlt mir noch ne Idee. Aber bis die Karten verkauft werden ,ist ja auch Sommer.

Ich geb übrigens hier nochmal offiziell eine Prognose ab: Sollte St. Pauli nicht aufsteigen, wird es im Sommer verdammt viele Saisonkarten für die Südkurve bei Ebay geben. Alternativ viele leere Plätze.

Naja. Eigentlich wollte ich eh immer wieder zurück in die Gegengerade. Ich hab zwar keine Ahnung, wie ich das realisiert bekomme, aber vielleicht sollte ich mal anfangen dafür Pläne zu schmieden. Im Optimalfall mit der Bezugsgruppe.

Und jetzt! Fußball. Auwärts bei 1860 München. Gewinnen. Würde mich zumindest auf dem Platz wieder etwas fröhlicher stimmen.

12 Gedanken zu „Kein-Saisonkarte-Kein-Heimsieg-Wochenende

  1. Ich sach mal eher, daß bei einem Nichtaufstieg die Plätze leer bleiben werden.

    2. Bundesliga ist dann eben doch am Ende nur 2. Bundesliga.

    Ist es bei euch rechtlich erlaubt, Dauerkarten bei ebay zu versteigern?

    [edit]
    Und mein Kommentar obwohl ich hier buckel wie ein blöder 😉

  2. @nedfuller Du armer (buckeln ;-))

    Ich glaub, es ist nicht erlaubt, passiert aber bestimmt trotzdem….

  3. Es ist definitiv nicht erlaubt, kann daher sogar strafverfolgt werden. Inwieweit das letztendlich bei der Vielzahl der angebotenen Tickets gemacht wird, entzieht sich meiner Kenntnis.
    Seatwave, ticket-to-go und ebay – irgendwo gibts immer was zu horrenden Preisen.

    Und wenn man einen Kugelschreiber zum Kauf anbietet und als kostenlose Dreingabe eine DK anhängt, befindet man sich sogar noch in einer rechtlichen Grauzone….

    Guter Artikel, Herr curi0us. Ich sehe, die Enttäuschung sitzt auch bei Ihnen tief.

  4. Sehr guter Artikel. Ich sehe die Verantwortung auch beim Verein; den Ultras die Selbstverantwortung der Kurve zu überlassen ist einfach unfassbar amateurhaft und beschwört das Chaos geradezu herauf.

    Meine Celtic-Karte (Nord, Steh) habe ich mir übrigens dann erst gestern geholt. Vor mir drei Leute, ich habe erstmals die Panzerverglasung und Sicherheitsschublade vor der Kasse wahrgenommen (wie gesagt, war ewig ud drei Tage nicht mehr im Stadion). Irgendwie bezeichnend für die Art, wie sich da abgeschottet wird. Ein riesiger Glaspalast mit stylisch dekoriertem Merchandise, weit, weit weg von dem Container mit den Schals und drei T-Shirts.
    Entliebt ist das richtige Wort.

  5. Wir haben an die Celtic-Karten gar nicht mehr gedacht. Betäubt und erschlagen still nach Hause gegangen.

  6. @Jeky @Kiki danke!

    Bin ja trotz Abneigung von Nicht-Pflichtspielen irgendwie am überlegen, ob ich mir Celtic nun ansehen will. Nordkurve Steh? Sounds like a Plan… Ich schau mal.

  7. @e13kiki – das Selbstverwalten der Karten durch Fans finde ich gut. Gerade das ärgert mich ja am meisten, dass durch die mangelhafte Orga dieses Prinzip jetzt in Frage gestellt wird.

    … natürlich lange nach der persönlichen Enttäuschung, da umsonst angestanden zu haben.

  8. @ring2 ich seh das Selbstverwalten durchaus problematisch. Völlig unabhängig wer da wie verwaltet. Solang die ein eigenes Interesse daran haben, *wie* die Kurve sich verhält/gestaltet wird, wer in der Kurve steht, wer nicht etc. wirst Du da immer Probleme provozieren. Sind halt auch nur Menschen.

    Beim Verein wären die Interessen wenigstens eindeutig und trivial: Geld verdienen, möglichst viele Karten verkaufen.

  9. Pingback: eingeNETzt 05/03/2010 | Spielfeldrand - Das Magazin

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