Heuchler

Da erzählt ein Fußballspieler eben davon. Dass und wie es so ist. Und es ist toll, dass er das erzählt.  Weil es vor ihm noch keiner erzählt hat. Eine Nachricht. Eine große.

Und es ist toll, dass im Umfeld wirklich keiner was gesagt hat, wofür ich mich schämen müsste.

Und jetzt feiern sich alle. Weil alle so toll offen sind. Weil alle so tun, als wäre das alles kein Problem. Progressiv. Fortschrittlich.  Alles easy. Solange eins glücklich wird damit.

Und die Kanzlerin lässt Gratulieren.

Wozu eigentlich?

In meinem Kopf sagt sie feierlich zum Thomas „Herzlichen Glückwunsch. Sie sind schwul!“ Und er lässt sich zerknirscht die Hand schütteln.

Was sie nicht sagt ist, dass sie „ein komisches Gefühl“ dabei habe. Dass der Thomas bitte keine Kinder kriegt adopiert. Weil.. ja… weil das ein komisches Gefühl macht. Irgendwo. Im Bauch.
Und so richtig, richtig wirklich heiraten soll er bitte auch nicht dürfen.

Wegen des komischen Gefühls.

Das nicht nur die Kanzlerin hat sondern zum Beispiel auch die großen Religionsgemeinschaften. Und das in den Parteiprogrammen der Regierungskoalition nicht drin steht. Das komische Gefühl. Aber von dem doch jeder weiß, dass es da ist. In den Köpfen der Abgeordneten. Und da ist es auch, weil die sicher nicht zu unrecht glauben, dass es in den Köpfen ihrer Wähler steckt. Oder in den Bäuchen. Das komische Gefühl.

Wenn es denn nur ein komisches Gefühl ist. Und nicht viel mehr. Viel schlimmeres.

Und dann sagen sie, dass doch bitte viel mehr Fußballer mal davon erzählen sollen, wie es ist. Und dass es so ist. Und fragen sich bei sich, in ihren von komischen Gefühlen bewohnten Köpfen, warum der eine nicht, oder der andere. Oder doch der … Die sind doch bestimmt auch… Merke man doch.

Aber wenn es darum geht, dass die Kinder in der Schule mal offen und ehrlich erzählt kriegen, was es so gibt. Für Möglichkeiten. Für Lebensentwürfe. Dass eins mit Mann oder Frau oder Männern oder Frauen oder Männern und Frauen oder gar nicht. Oder Transgender oder…

Nein. Das bitte nicht. MEIN KIND nicht. Da schreiben sie Petitionen gegen. Machen ein „die“ und „wir“ draus. Als ob „die“ anders wären als „wir“….Als ob ausgerechnet das die große Grenze wäre, auf deren einer Seite Menschen so und auf deren anderer Seite Menschen so wären.

Aber der Thomas ist ein toller. Dass der das erzählt. So offen! Und dazu steht. So mutig!

Ich kannte auch mal einen Thomas, der das so offen erzählte. Der ist aus seiner WG geflogen. Als er das erzählte. „Wenn der mir auf den Arsch starrt“ haben sie bei sich wohl gedacht. Komisches Gefühl eben.

Die Männer-WG findet den anderen Thomas jetzt bestimmt ganz toll. Offen. Endlich steht einer dazu. Mutig. Solange er nicht in ihrer WG wohnt. Man weiß ja nie. Ansteckend? In derselben Dusche? Besser nicht.

Und in diesem Internet, wo sie glauben, dass keiner merkt wer sie sind. Wo sie noch reaktionärer und scheiße sein können als draußen. Da kriechen sie unter ihren Steinen hervor. Thomas darf natürlich leben wie er möchte. Aber doch bitte so, dass sie nicht belästigt werden davon. Sich in der Öffentlichkeit küssen? Ih. Nein.
Oder Kinder betreuen? Denkt doch an die Kinder. Die kann man doch nicht mit Kindern! Die werden dann doch auch alle.. anders. Und man weiß doch auch, dass die..naja.

Leute, die „der Thomas ist so mutig“ sagen und der Grund dafür sind, warum er dafür mutig sein muss.

Leute, die zum Coming out gratulieren, aber ein „aber“ hinterher schieben.
Aber keine Hochzeit. Aber keine Kinder. Aber!

Leute, die so tun als wäre alles fein, aber „man muss ja anderen das jetzt auch nicht aufzwingen“ sagen. Und dann ihre heteropartner öffentlich küssen.

Leute, die betreten gucken und schweigen. Als wäre das eine Krankheit.

User, die Thomas positiv erwähnten und ‚aber‘ sagten, sagten auch ‚Ich bin ja nicht ausländerfeindlich, ‚aber“…

Ihr kotzt mich an.

16 Gedanken zu „Heuchler

  1. Danke, toller Text. Das Fußballer-Outung lässt sich schlicht nicht denken ohne das Wissen um die Petition, die gerade in Baden-Württemberg die unde macht.

  2. Schön, mal wieder was von dir zu lesen, und dann gleich so ein starker Text. Es ist in der Tat dieses „Mir doch egal, ob er schwul ist, so lange er mich nicht anbaggert / anschaut / nicht bei mir in der Gegend wohnt“, was da immer mitzuschwingen scheint…
    Die Zeit, wo so was keinen tagelangen Hype auslöst, ist dann offenkundig noch nicht erreicht…

    Schreib bitte öfter.. 😉

  3. Wie Recht Du doch hast!

    Ich bin heterosexuell und glücklich verheiratet.

    Eine Frau, der ich gefalle und die mich deshalb anbaggert ignoriere ich deshalb, nötigenfalls muß ich sie eben höflich aber bestimmt auf ihre Chancenlosigkeit hinweisen. Alles kein Problem. Die meisten Frauen wollen gottlob ohnehin nichts von mir, meist, weil ich einfach nicht ihr Typ bin oder eben weil sie ihrerseits bereits glücklich gebunden sind. Gut so.

    Mit schwulen Männern ist das aber nicht anders. Die meisten Schwulen interessieren sich nicht für mich, weil ich nicht in deren Beuteschema passe, andere weil sie bereits glücklich liiert sind. Sollte dennoch mal ein schwuler Mann Gefallen an mir finden (das habe ich durchaus schon erlebt!), muß ich ihn eben darauf hinweisen, daß ich bereits zu zweit bin und außerdem Lebenspartnerschaften nur mit einer Frau eingehen würde.

    Dennoch könnte ein schwuler Mann mein Kupmel sein, mein Kollege, mein Vertrauter, was auch immer. Warum auch nicht. Nur könnte er eben nicht mein Lebensgefährte sein, weil er ein Mann ist.

    Letztlich ist nur der Moment, in dem jemand Chancen für eine mögliche künftige Partnerschaft auslotet, der einzige Moment, in dem die sexuelle Neigung anderer für ihn relevant wird. Dieser Moment ist aber so privat und intim, daß er keiner Öffentlichkeit bedarf.

    Wir sind Erwachsen, wir müssen mit damit umgehen können, zurückweisen zu müssen und zurückgewiesen zu werden. Ich wurde oft zurückgewiesen bis ich endlich die richtige Frau gefunden habe, und ich habe oft zurückgewisen – nicht nur Frauen.

    Es gibt auch keinen Unterschied zwischen Hetero und Homo, wenn um Sex geht. Es stimmt ja: Ich will nicht wissen, was schwule Paare in ihren Betten tun. Mich persönlich ekelt die Vorstellung daran sogar.
    Ich will aber auch nicht wissen, was heterosexuelle Paare in ihren Betten tun. Auch diese Vorstellung ekelt mich. Ich störe mich an heterosexuellen Pärchen, die sich in der Öffentlichkeit befummeln nicht anders als an schwulen Pärchen, die sowas tun. Egal wer: Behelligt mich nicht mit Eurem Sexleben. Meines genügt mir völlig.

    Und weil all das so ist, sehe ich auch nicht ein, warum Homosexuelle Beziehungen rechtlich nicht normalen Beziehungen gleichgestellt sein sollten. Ich habe steuerliche Vorteile durch meine Ehe, ich muß aber auch für meine Frau aufkommen, wenn die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann. Ich nehme durch die Eheschließung ein Stück weit das Risiko meine Frau durchfüttern zu müssen von den Schultern der Gesellschaft und umgekehrt. Dafür werde ich mit Steuervorteilen belohnt. Wenn nun Homosexuelle Paare entsprechende Verpflichtungen füreinander eingehen, sollten sie die gleiche Belohnung kommen.

    Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit, die unmittelbar aus den Grundrechten unserer Verfassung resultiert. Laßt die Leute doch in dieser Hinsicht tun, was sie wollen. Hauptsache sie werden glücklich, das hat nämlich jeder verdient.

  4. Wenn wir in einer offenen und toleranten Gesellschaft leben würden, hätte das Outing von T.H. niemand mitbekommen. Weil es dann, aber auch nur dann, als selbstverständlich und „keine Meldung wert“ gesehen würde.
    Das ist nicht der Fall, was dich und mich und viele andere zu der Schlussfolgerung kommen lassen muss, dass unsere Gesellschaft nicht offen und tolerant ist.
    Was mich auch nicht überrascht.

    Ich habe mal einen Test in einer Kneipe (NRW Münsterland, tiefstes CDU Gebiet) gemacht:
    Knutschen gegen Homophobie! Ich habe einfach mal mehrere meiner guten Freunde rangezerrt und sie herzlich auf den Mund geküsst. Die fanden’s witzig. Andere nicht. Draußen wartete man man bereits auf mich „um die Schwuchtel zu klatschen“. Ich konnte mich dank guter rhetorischer Fähigkeiten noch einmal rauswinden, jedoch ohne die Aktion und mich zu verleugnen.
    Glück gehabt. Muss nicht immer so laufen.

  5. Öffentliche Upper-Class-Coming-outs sind doch nichts weiter als ein positives Nebenprodukt dessen, was LGBT-Familienmitglieder, Arbeitskollegen und Freunde in ihrem Umfeld erreichen können, wenn sie sich nicht verstecken oder verstellen. Die Hauptverantwortung liegt also bei jedem Einzelnen. Die LGBT-Bewegung hätte sich nicht einen Schritt nach vorne bewegt, hätte sie auf die Mehrgesellschaft oder deren prominente Vorzeigetypen gewartet.

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  7. „Denkt den hier niemand an die Kinder?????“ 😉

    Sehr schön geschrieben.

  8. Schöner Text, da frage ich, warum machst du das so selten 😉

    Wobei bei mir immer noch im Hinterkopf ist, dass demnächst eine Biografie erscheint, ich weis nicht wieso….

  9. Der Stil macht es mir schwer, das zu lesen: zu übertrieben die kurzen Sätze und Andeutungen kultiviert… Ich verstehe das Stilmittel zur Betonung des Umgangs mit dem Thema, den er erlebt, ist aber aus meiner Sicht schief gegangen. Inhaltlich bin ich auch nicht dabei: es kann nicht jeder sofort alles akzeptieren, Change braucht Schmerz und langsames Rantasten – ich finde die Reaktionen okay!

  10. Mal ganz abgesehen von dem (tollen) Text: Mich nervt das Gemache um dieses Outing… Ich meine:
    Der Typ hat sich jetzt geoutet… Jetzt… wo er nichts mehr zu verlieren hat. Keine Teamkollegen mehr, kein Trainer mehr, kein Job mehr, keine Sponsoren mehr…

    Jetzt kann er also große Reden schwingen und ganz toll mutig sein bzw. heucheln das er anderen Mut machen will ?

    Jetzt da er keine Konsequenzen mehr fürchten muss da sein Outing eh (abgesehen von der für Ihn positiven PR und neuerschlossener Einnahmequelle durch Interviews etc.) keine „echten“ Auswirkungen mehr hat?

    Jetzt will er „anderen, noch aktiven“ Spielern Mut zu einem Schritt machen den er sich doch selber nicht getraut hat?

    Komisch das sein Outing auf dem Fuß seines Rückzuges aus dem aktiven Sport von 09/2013 folgt…

    Sorry wenn ich jetzt einen „einsamen Standpunkt“ vertrete, aber im großen betrachtet finde ich sein Outing weder toll noch mutig geschweige denn hat es Respekt verdient.

    Ich finde es feige, zu spät, irrelevant und negativ behaftet.

    Die Aussage ist doch „Schwul? Gerne, aber erst wenn man nichts mehr zu verlieren hat bzw. nicht mehr relevant ist!“

    Wenn er wenigstens seinen Ex-Bekanntheitsgrad dazu nutzen würde positiv einzuwirken, aber bisher ist es ja leider nur ein vollkommen narzistisches „Schaut auf mich… MIIIHIIIIIIICH, HIER!“ ohne Mehwert für irgendjemanden abgesehen von ihm selber.

    Echt traurig eigentlich…
    (Das nächste ist dann der Buchdeal für seine Memoiren, wartet’s ab… Oder, da er ja Fußballer war, ein großes Exklusiv-Interview mit Tränendrüsendrückgarantie…)

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    Tschuldigung, aber ich war schon bei der Überschrift so gut wie weg. Und der Text und das Stilmittel der kurzen Sätze hat es nicht besser gemacht.

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