Peng

Ich bin ja eigentlich ziemlich tolerant. Ziemlich gelassen und entspannt. Bin in der Lage andere Meinungen zu akzeptieren, andere Standpunkte anzuhören, zu verstehen und abzuwägen. Und dann für mich zu entscheiden, inwiefern ich der Argumentation folge, oder nicht folge.

Aber ab und zu fällt mir das mit dem gelassen sein ziemlich schwer.

Zum Beispiel dann, wenn man mich dazu zwingt oder nötigt, eine Meinungsäußerung zu tätigen.

Stell Dir vor, es ist Demo, und Du musst hingehen.

Hamburg, 28.03.2010, 13:00, Millerntorstadion, Südkurve.

Wie vor eigentlich jedem Heimspiel war ich mit der Bezugsgruppe unterwegs ins Stadion. Eigentlich wollten wir auch nur auf die Stehplätze, um uns langsam an die Stadionatmosphäre zu gewöhnen, anzukommen, einen ordentlichen Platz zu finden. Wie man das halt so macht, als Fussballfan. Also.. kommt mir jedenfalls so vor.

Dankenswerterweise wurden wir vor dem Spiel noch einmal darüber informiert, dass sich einige Fanclubs dazu entschlossen hatten, die ersten fünf Minuten des Spiels zu boykottieren. Draußen zu bleiben, um ein Zeichen zu setzen, “für Fanrechte” und gegen das “Aussperren” der Rostocker (aussperren war jedenfalls der Begriff, den mir später einer der Boykottbefürworter an den Kopf warf). Inwiefern die Reduktion von Eintrittskarten für ein Fussballspiel eine Aussperrung bedeutet ist mir zugegeben sehr unklar, aber nun gut. Dann werden ja alle ausgesperrt, für die es keine Tickets gibt, oder? Was ist, wenn es mehr Interessenten gibt, als Tickets? Sind diejenigen, die dann kein Ticket bekommen auch ausgesperrte?

Naja, die Bezugsgruppe hatte das Thema vor dem Spiel kontrovers diskutiert, und war sich durchaus nicht einig in der Meinung zu dem Boykott. Von “ich find die Kontingentierung scheisse, weiß nicht, ob ich mitmachen soll” bis zu” “Man kann über die Kontingentierung geteilter Meinung sein, aber weder Protest, noch Protestform finde ich unter den aktuellen Umständen sinnvoll”, war alles dabei. Wir waren also absolut nicht “anti”, wie dann später unterstellt.

Uns wurden Flyer gereicht, einer aus der Bezugsgruppe ließ sich einen geben, wir schauten drauf, sahen uns den Flyer an und fanden… keine neuen Argumente. Das war alles in diesem Internet schon durchgekaut worden. Wir wussten also auch, worum es geht (später wurde uns dann vorgeworfen, wir wären nur uninformiert). Nun denn, ab in die Kurve, dachten wir uns.

Dummerweise fanden die Unterzeichner, oder wenigstens ein Teil der Unterzeichner, es gar nicht lustig, wenn man sich nicht für Ihre “Bitte” nach Boykott aussprach. Schon gar nicht, wenn man nicht mit boykottieren wollte. Aus welchen Gründen auch immer. Will sagen: Man durfte schlicht nicht rein. Mit geschätzt 30 bis 40 Personen wurde zumindest unser Aufgang in die Kurve versperrt, die reindrängende Masse nicht weiter gelassen.

Blockade statt Boykott?

Wir standen recht weit vorn, so dass einige von uns versuchten, mit den Blockierern zu diskutieren. Was zurückkam lief ungefähr auf folgende Argumente hinaus:

  1. “Wir kämpfen auch für eure Rechte!”
  2. “Ihr wollt doch auch zum Derby, nächste Saison”
  3. “Wenn Ihr euch nicht engagiert, dann dürft Ihr euch nicht beschweren”
  4. “Ihr habt keine Rechte”
  5. “Es sind doch nur fünf Minuten”.
  6. “Ihr wisst nur nicht, worum es geht, informiert euch, dann bleibt Ihr auch draussen”

Besonders schön daran, dass die Hälfte der Argumente in die Richtung ging, dass wir – oder alle anderen Angesprochenen – ja nur keine Ahnung hätten. Und die andere Hälfte einem einfach erklärte, dass man nur mal die Fresse halten müsste, weil man keine Rechte hätte etc…

Im Nachhinein durfte ich im Forum dann noch feststellen, dass sowas offenbar auch Teil des Südkurvenkonzepts sei. Von wegen selbstverwaltet. Nun ja, alles, was ich bisher darüber gelesen hatte, bezog sich auf Support, Anfeuern, laut sein. Aber der Zwang zu politischen Äußerungen war mir jetzt doch sehr neu.

What?

Toll, wie sich inzwischen herausgenommen wird, für alle zu sprechen. Toll, wie demokratisch solche Sachen in der vermeintlich basisdemokratischen Ultrakurve entschieden werden. Toll, wenn sich der Fanclubsprecherrat, der vermeintlich wenigstens für alle Fanclubs sprechen soll, solidarisiert (anders kann ich das Verhalten nicht deuten, sonst hätte es längst eine kritische Stellungnahme geben müssen). Toll, wenn der Verein selbst nicht in der Lage ist, seine Zuschauer zur Ordnung zu rufen.

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.

Demokratie fordern, aber für andere Entscheiden. Toleranz für “Fanrechte” fordern, aber keine Toleranz für andere Meinungen und Interessen aufbringen. Vor allem: Fanrechte fordern, und die Fanrechte anderer massiv beschneiden.

Das ist doch genau das, was der Verein mit den Rostockern macht, und in Zukunft alle mit uns machen werden.

Zum einen macht nicht “der Verein” was mit den Rostockern, sondern die Rostocker machen was. Nämlich die zur Verfügung stehenden Karten nicht nutzen. Das ist ihr gutes  Recht, aber zunächst mal kein Einschnitt in irgendeine Freiheit, der so immer wieder vorkommt.

Verdammt, Karten werden dauernd kontingentiert, sonst könnten Auswärtsfans ja auch Karten für den Heimblock kaufen etc..

Zum anderen macht nicht “der Verein” was, sondern vor allem erst mal die Polizei.

Zum dritten, weiß ich gar nicht, ob das jetzt alle mit uns machen werden. Und wer “uns” überhaupt ist. Es besteht die Möglichkeit, aber es ist kein Fakt. Und genauso besteht die Möglichkeit, dass dies zunächst eine Ausnahme war. Sowas gibt es nämlich – trotz Polizeistaatsparanoia (oder –Angst, ich will ja gar nicht darauf hinaus, dass sowas nicht auch zum Teil berechtigte Angst ist!) immer noch.

Aber – darum geht’s mir eigentlich nicht. Protest ist das gute Recht aller. Und wenn ich ihre Meinung nicht teile, protestiere ich einfach nicht mit.

Nur in diesem Fall ging es halt nicht, in diesem Fall konnte ich mich nicht entscheiden, den Protest nicht zu teilen, sondern wurde gezwungen ein Zeichen zu setzen. Durch mein Fernbleiben im Stadion.

Das ist – wenn man so möchte – vergleichbar damit, sich in die Wahlkabine zu stellen und die Wähler dazu zu zwingen, ihr Kreuz an die Stelle zu machen, an die man es gerne hätte.

Das ist St. Pauli.

Sich den denkenden, eigenständigen Mitfan wünschen, aber was dagegen haben, wenn der denkende, eigenständige Mitfan die eigene Meinung nicht teilt.

Das ist St. Pauli.

Mir wird ja schon länger schlecht, wenn wieder irgendjemand im Umfeld des Vereins einfach mal so “Solidarität” fordert, aber inzwischen sind hier wirklich alle Grenzen weit hinter sich gelassen, die eine Verwendung dieses Begriffes noch rechtfertigen.

Was wollt Ihr doch gleich? Solidarität? Man kann Solidarität nicht erzwingen. Man kann Meinungen nicht erzwingen. Solidarität? Was ist das für euch? Blindes unterstützen einer Aussage, weil man zufällig irgendwie einer Gruppe angehört in der die lauten sich einig sind? Einer Gruppe, die ca. 20.000 Menschen umfasst, die “St. Pauli-Fans im Stadion” heißt? Alle St. Pauli-Fans solidarisch? Solidarität my ass. Solidarisch mit Menschen, die mich als jemand der im weiteren Sinne für die Werbebranche arbeitet für “scheiße” hält? Solidarisch mit Menschen, die mich potentiell erst mal als “Internethool” abtun würden, weil ich nicht in nem organisiertem Fanclub bin? Mit Menschen, die mich wahlweise als “Schnarchnase” (fürs Protokoll, ich hab in den letzten Spielen gefühlt 80% der Zeit gesungen und geschrien) oder “Modefan” (der seit 20 Jahren ins Stadion geht…) bezeichnen.

Noch gar nicht so lange her, wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kopf nicht am Stadionausgang abgegeben werden soll. Das bringt dummerweise den Effekt mit sich, dass man viele verschiedene Meinungen und Perspektiven hat. Auch die Meinungen, die nicht die eigene wiederspiegeln.

Das war mal St. Pauli.

Dachte ich.

Aber nun gut. Ich hab dazu gelernt. Ich weiß jetzt, dass ich keine eigene Meinung brauche, weil “die aktiven Fans” mir diese Arbeit abnehmen. Wozu auch selbst denken, das kann ich ja eh nicht.

Ich weiß jetzt, dass ich bei Eingriffen in meine Rechte ja “einfach mal fünf Minuten warten kann”. Ich weiß jetzt, dass es Fans und Fans gibt. Faktisch. Fans, die Recht haben und offenbar auch Recht sprechen, und der Rest, der – wenn er Glück hat – ins Stadion gelassen wird.

Danke für das Abnehmen meiner Entscheidungen. Das hat mich eh schon immer überfordert.

Und in zwei Wochen wird wieder gejammert, dass man “Ultra” nicht verstehe. Weil man eigene Lieder singt.

Ach ja. Das ist ja das Südkurvenkonzept:

Kopf an der Tür abgeben und singen, was der Vorsinger ins Megaphon schreit. Stimmt ja. Das ist Ultra. Das ist Südkurve. Eine Meinung. Für alle. Stimmt ja. Ein Lied. Für alle. Einhaken. Im Takt marschieren hüpfen. Machen, was einem gesagt wird. Stimmt ja.

Individualismus ist scheiße.

Meine Fresse, wie kann man so den Schuss nicht gehört haben?
Wie kann man diktatorisches Vorgehen leben und sich gleichzeitig über das möglicherweise undemokratische Handeln des Vereinspräsidenten beschweren?
Wie kann man sich anmaßen, hier die einzig gültige Wahrheit gefunden zu haben?

Und da macht es auch keinen Unterschied mehr, ob kleine Kinder und Gebrechliche in den Block gelassen wurden (wurden sie nicht), oder ob es nur wenige waren, die nicht rein wollten (waren es nicht), das ist völlig egal. Und wenn nur ein 120 Kilo-Muskelprotz durch so eine Aktion daran gehindert wird, sein Recht auszuleben ist das einer zu viel.

Schön auch, das Argument, dass man ja bei Streiks oder Demos auch Einschränkungen hinnehmen müsste. Ja, muss man. Diese sind irgendwo, in irgendeinem gültigem Gesetz rechtlich definiert.

Ein Recht, das trotz allem immer noch durch öffentliche, demokratische Wahlen legitimiert ist (was auch immer man von Repräsentativdemokratie sonst so halten mag). Ein Recht, das von dafür zuständigen Menschen durchgesetzt wird (Zum Beispiel Polizisten. Aber okay, die muss ich ja – Kopf steht noch am Stadioneingang – ohne Einschränkung scheiße finden, oder?).

Manmanman.

Warum “Peng”?

Damit endlich mal jemand den Schuss hört.

Andere Stimmen zum Thema (die übrigens unterschiedliche Perspektiven vertreten, Stichwort eigene Meinung…Wobei ich jetzt mal alles verlinkt hab, was ich so gefunden habe und schon eine Mehrheit für ‘meinen’ Standpunkt glaube zu erkennen)…

Unschuldsvermutung

„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“ (Wikipedia)

Tja. So ist das wohl. Eigentlich. Und natürlich haben diejenigen recht, die sagen, dass von dieser (leider) immer häufiger abgewichen wird. Und natürlich gibt es daran sehr viel berechtigte Kritik.

Nachdem die Polizei Hamburg eine klare „Null-Lösung (keine Gästefans) favorisiert hatte, erreichte der FC St. Pauli einen Konsens und einigte sich mit der Polizei auf folgendes Szenario:

  • Die Gastmannschaft Hansa Rostock erhält keine Stehplatzkarten.
  • Für die Nordtribüne Block N 5 im St. Pauli Stadion werden Hansa Rostock bis zu 500 Sitzplatzkarten zum personifizierten Verkauf, also gegen Vorlage von Personalpapieren, zur Verfügung gestellt.
  • Bei Einlass am Spieltag werden die Karteninhaber hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Erwerbs überprüft.
  • Die durch den limitierten Verkauf frei bleibenden Plätze dienen als Pufferzone zwischen den rivalisierenden Fanblöcken
  • (FC St. Pauli)

Der Zusammenhang könnte klar werden: Aufgrund der Ausschreitungen und Vorfälle in den letzten (eigentlich wohl in allen bisherigen) Spielen der beiden Vereine gegeneinander wird die Unschuldsvermutung eingeschränkt. Man geht eben nicht davon aus, dass die Gästefans – also die Rostocker – “unschuldig” sind, sondern gibt Ihnen vor einem möglichen Vergehen die Schuld.

Soweit, so möglicherweise trivial und entsprechend kritikwürdig.

Die Angst vieler, dass es zu einer immer weiteren Einschränkung von “Fanrechten” kommt, dass dies nur der Anfang ist, hängt damit natürlich zusammen. Dass dies ein weiterer Schritt ist, Auswärtsfans ganz zu vermeiden. Paranoia? Möglich.

Fakt ist, dass Fußballfans (dies trifft allerdings auch für andere Gruppen zu) schon lange außerhalb der Unschuldsvermutung leben. Eskorten zum und vom Stadion, im Block bleiben müssen, bis die Abwege frei von gegnerischen Fans sind, strikte Fantrennung. Alles Eingriffe in den Alltag, die sich nur durch die Abweichung von der Unschuldsvermutung erklären lassen. Wären wir ad hoc alle unschuldig, müsste man uns nämlich nicht regulieren.

Ehrlicherweise, muss man “uns” jedoch regulieren. Uns Fußballfans als große, heterogene Gruppe. Klar, werden viele aufschreien, “mich doch nicht, ich will mich ja nicht prügeln”, aber dass es – wohl bei jedem Verein – genug Idioten gibt, die genau das wollen, deren persönliche Hemmschwelle so niedrig ist, deren Gewaltpotential so hoch, wird wohl niemand abstreiten.

Was also tun? Unreguliert laufen lassen? Das Grundrecht der Unschuldsvermutung würde dies wohl so verlangen.

Wo macht man den Schnitt?

Wo sagt man “dieser Einschnitt ist nachvollziehbar und sinnvoll, dieser nicht mehr”?

Ich kann nachvollziehen, dass man (Die Polizei, die Vereine, der Staat, wer auch immer) etwas anderes versuchen will und muss, um Verbrechen zu verhindern. Dies geht leider nur mit Einschränkungen der Unschuldsvermutung. Ob es sinnvoll ist, das Kartenkontingent zu limitieren, oder ob jetzt 1.000 gewaltbereite Rostocker nach Hamburg kommen, nur um sich zu prügeln? Ich kann es nicht beurteilen. Wir werden es erleben.

Ich kann nicht sagen, inwiefern diese Einschränkung schlimmer ist, als andere Einschränkungen. Wahrlich nicht.

Aber: Wer jetzt aufschreit, sollte doch bitte nochmal global schauen, was dazu geführt hat. Unabhängig von Recht oder Unrecht.

St. Pauli-Fans, die in Rostock mit Bengalos auf Ordner schmeissen. Hertha-Fans, die den Platz stürmen. Nürnberger, die Ihren Block abfackeln. St. Pauli-Fans, die mit Feuerzeugen und Bierbechern auf Schiedsrichter, Ordner, Spieler werfen. HSV-Fans, die irgendwo auf dem Weg zum Auswärtsspiel einen Bahnhof verwüsten.

Ein kleiner Ausschnitt, aus dem, was “man” so mitbekommt. Und ein Ausschnitt aus dem, was jeden Spieltag wieder relativiert wird.

Wenn ich mich im St. Pauli-Forum umgucke, und sehe wie viele da den Standpunkt haben, dass ein “Feuerzeugwurf ja nicht so schlimm” wäre. Dass sowas “im Eifer des Gefechts” halt mal passiere. Hallo?!

Wenn Bengalos legal wäre, wäre das ja nicht passiert (Bezug: Nürnberg). Aha?

Wir alle wissen was wir nicht dürfen. Wir alle. Und wer es nicht weiß, sollte sich schleunigst informieren. Mein Eindruck ist sogar, dass viele es machen, weil es nicht erlaubt ist. Gerade um sich gegen etwas zu positionieren.

Und sich dann wundern, wenn es eine Reaktion gibt?

Selbstkontrolle, wollen wir zeigen. Aber wo ist die Selbstkontrolle? Wo ist das funktionierende Konzept von Fans, das Fans und unbeteiligte vor den Idioten schützt?

Wir, wir St. Pauli- und Rostock-Fans schaffen es seit fast 20 Jahren nicht, ein Konzept vorzulegen, mit dem die Sicherheit der Beteiligten gewährleistet wird. Aber sich beschweren, dass jetzt andere sich damit auseinandersetzen? Noch mal ein eigenes Konzept vorlegen?

Ja, ich sehe ein Ungleichgewicht zwischen beiden Fangruppen, ich halte die Rostocker für “schlimmer”, aber darum geht es gar nicht. Ich glaube, dass ‘wir’ St. Pauli-Fans weniger Mist machen. Aber wir machen Mist. Als Gruppe. Nicht als einzelner.

Und viele aus dieser Gruppe verstehen nicht einmal den Sinn, warum man die Mistmacher persönlich zur Rechenschaft ziehen sollte. Solidarität geht einigen scheinbar über alles.

Nur: Gerade wer diese Solidarität fordert, sollte sich noch weniger darüber wundern, wenn er dann auch in Haftung genommen wird.

Wer fordert, die aktuellen Sanktionen in einen größeren Gesamtzusammenhang zu stellen, muss damit rechnen, dass auch einzelne Aktionen von Fans in einem größerem Zusammenhang gesehen werden.

Ich kann nicht final sagen, wo ich welche Einschnitte in welche Rechte am Ende noch zu rechtfertigen finde, aber ich kann nachvollziehen, dass dieser gemacht wurde.

Eine wirkliche Bewertung geht – für mich – eben nur hinterher.

Ich unterstelle aber – sogar der hamburger Polizei – zunächst mal Motive, die ich mittragen kann. Wahrung der Sicherheit. Und das geht – leider – oft nur mit einschnitten.

Sonst dürfte ich – blöde gesagt – auch bewaffnet durch die Straßen laufen (hier greift ja quasi auch die Unschuldsvermutung, solang ich niemanden erschieße, bin ich unschuldig).

Äpfel mit Birnen? Vielleicht, aber ich hoffe es wird klar, was ich meine.

Und nun los. Zerlegt mich.

Wilkommen im Kirchenstaat

Mal abgesehen davon, dass das deutsche Ladenschlussgesetz für mich sowieso ein steter Stein des Anstoßes ist, schlägt das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (bzw. eigentlich die dem Urteil zugrundeliegende Gesetzeslage) dem Faß den Boden aus.

Berlin hat im Vergleich das “lockerste” Ladenschlußgesetz. In Berlin ist es nach Landesregelung erlaubt an 10 Sonntagen des Jahres geöffnet zu haben. Und die Kirchen laufen dagegen Sturm. Klage vor dem BVerfG, mit dem Ergebnis, dass sich Berlin was Neues einfallen lassen muß. In der Begründung – und das ist es, was mich am meisten stört steht offenbar auch, folgendes:

Sonn- und Feiertage seien als „Tage der Arbeitsruhe“ aus religiösen Gründen, aber auch zur persönlichen Erholung der Arbeitnehmer und ihrer Teilhabe am sozialen Leben geschützt.

Ja Hallo! Der Staat verbietet uns sozusagen Sonntags zu arbeiten, verbietet uns Sonntags einzukaufen (weil ja niemand arbeiten darf, der uns etwas verkaufen könnte) untersagt es uns, den Sonntag anders als “zur persönlichen Erholung” zu verwenden. Im Grundgesetz. Eines säkular-laizistischen Staates. Danke. Ich weiß nicht wie viele Menschen sich beim Shoppen wunderbar erholen können, aber es werden einige sein. Und ich weiß auch nicht, warum der Staat den Bedarf sieht, mir vorzuschreiben, dass ich mich ausgerechnet Sonntags erholen soll.

Aber es geht noch weiter. Laut Spiegel Online habe man in der Mündlichen Verhandlung bereits geltend gemacht, dass das Recht auf ungestörte Religionsausübung von den Sonntagsöffnungen tangiert sei.

Supi. Warum gründet eigentlich nicht jemand eine weitere Religion und erklärt die Tage Montags bis Freitags zu religiösen Feiertagen? Gibt es in Deutschland nicht die per Grundgesetz festgelegte Neutralität des Staates gegenüber den Religionen? Die so genannte Religionsfreiheit? Gilt das nur für Christen?

Das ausgesandte Signal finde ich übrigens fatal. Auf der einen Seite schaut man gerade etwas erscrocken in die Schweiz, die den Bau von Minaretten durch eine Volksabstimmung verbietet, auf der anderen Seite unterstreicht man den gesetzgebenden Einfluss der christlichen Kirchen in Deutschland. Kirchenstaat im 21. Jahrhundert? Wollen wir nicht gleich auch gleichgeschlechtliche Eheschließung und das Recht auf freie Meinungsäußerungen einschränken? Ach ja, das tun wir ja schon.

Einer der Aspekte, der mich an diesem meinem Heimatland wirklich stört. Aber nun gut, dem Deutschen muß offenbar vorgeschrieben werden, wann und was er tun darf. Wann er einkaufen darf, und wann nicht. Denn: Sonntags mußt Du in die Kirche gehen. Steht da. Unterschwellig. Zwischen den Zeilen. Sonntags darfst Du nur gottgefällig sein, und nicht dem schnöden Mamonn huldigen.

Absurderweise darf man Sonntags dann aber doch einkaufen. Brötchen. Benzin. Zeitungen. Sogar Blumen. Ist das gottgefällig, oder warum ist das erlaubt?

Und arbeiten darf man auch am Sonntag. Fragt mal rum, wer alles Sonntags arbeitet. Legal.
Und das sind nicht nur diejenigen, bei denen die Gesellschaft absolut nicht darauf verzichten kann. Das sind Journalisten, Handwerker, Berater, Dienstleister, Kaufleute, Architekten, Reiningungspersonal..
Übrigens arbeiten Sonntags sogar Kirchenmenschen und Juristen.

Danke, lieber Staat, dass ich weiß, wo ich Sonntags hingehöre. ich geh dann mal beten.