Millerntaler continued 3…

Schon irgendwie erstaunlich: Nach dem wenigstens als solches empfundenem „Zurückrudern“ des Präsidenten und des Caterers hatte ich tatsächlich erwartet, dass der Protest verstummen würde. Ist ja doch recht oft so, dass sich die erste Wut noch entlädt, aber dann kleine Zugeständnisse die ganze Welle zum brechen bringen, weil viele sich dann eben doch darauf einlassen können bzw. den Kompromiss annehmen.

Mein Eindruck von der Millerntaler-Geschichte ist aber bisher ein ganz anderer. Der Protest ist etwas weniger „laut“ geworden, einfach weil das Thema derzeit auch nicht so dominant ist wie zu Beginn dieser unsäglichen Geschichte. Trotzdem passiert offenbar noch einiges (was ich sehr positiv finde). So gibt es beispielsweise inzwischen auf der „alten“ Petitionsseite eine recht ansehnliche Content-Menge (würde mir allerdings wünschen dass man das ganze Thema auch noch erklärt – worum geht’s eigentlich? Wird da nicht deutlich, wenn man den Kontext nicht kennt. Ach ja: Ich bin beeindruckt von dem Layout, mit Joomla kam ich zugegeben gar nicht zurecht, als ich das neulich ausprobierte 🙂 ). Die schaffens zudem auch, im Gegensatz zum Verein gutes Marketing zum Thema zu betreiben, nur eben in die thematisch andere Richtung.

Auch im St.-Pauli-Forum gibt es beständiges Rauschen zu dem Thema. Auch hier nicht in der Intensität der ersten Tage, aber dass im Hintergrund „gewerkelt“ wird, kann man beispielhaft diesem Faden entnehmen. Interessant finde ich dann auch das hier. Ist ja auch eine der Fragen die mich umtreiben, wie kommt es, dass der ganze „Hype“ um den Taler eine so große Welle vor sich her treiben kann. Leider verflachte die Diskussion dort doch recht schnell wieder.

Von Vereinsseite ist es zum Thema fast schon überraschend ruhig in den letzten Tagen. Ich vermute man versucht die Geschichte auszusitzen, mal schauen ob das was wird. Ich habe daran inzwischen tatsächlich Zweifel. Wäre schön, wenn die Initiative ihr Ziel erreicht. Ich werde das ganze leider nur von außerhalb sehen, da mir die 45 Euro für die Südkurvensitzplätze leider zu teuer sind (bitte dies nicht als Kritik am Verein verstehen. Wenn sie die Sitze loswerden ist das durchaus in Ordnung. Mal schauen was die ebenfalls neuen Nordkurvenplätze kosten).

Sogar in den Blogs finden sich viele Artikel zum Thema, Ringfahndung und The Boys and Eve nur mal als zwei aktive Beispiele genannt.

Es bleibt also Spannend und ich verfolge die Welle bzw. den „Hype“, und harre der Dinge die da kommen mögen.

Was ist gute Werbung?

Beim Werbeblogger fragt man sich gerade, was für die jeweiligen Leser gute Werbung ausmacht.
Von den beiden dort vorgestellten Prototypen („Kreativer“ vs. „Berater“) bin ich ja rein formal als hauptberuflicher Werbewirkungsforscher ziemlich deutlich den Beratern zugeordnet. Unterstelle ich mal. Damit kann ziemlich gut leben.

Aber was macht für mich nun gute Werbung aus?

Mir fällt es einfacher zunächst zu beschreiben, was für mich schlechte Werbung ausmacht.

  • Schlechte Werbung erfüllt in unlustiger Art Klischees.
  • Schlechte Werbung wirft mit Bildern und Headlines um sich die keinen Bezug zueinander oder noch schlimmer, keinen Bezug zum Produkt haben.
  • Schlechte Werbung müssen mir die Teilnehmer an unseren Befragungen erklären (schon mehrfach passiert: man bekommt eine Kampagne zum Testen auf den Schreibtisch, versucht beim Kunden heraus zu bekommen, was das Ziel ist, was die Anzeigen aussagen etc.. Aber der Kunde hat keine Zeit, also geht’s halt ohne die Info los. Fragebogenabstimmung ist in der Regel eh eher Produktbezogen. Während der Auswertung liest man sich dann mal die offenen Statements der Teilnehmer durch. Einer von denen schubst dann teilweise einfach den Groschen über die Klippe). Alternativ starrt man eine Minute oder länger auf die Anzeige bevor man versteht wo eigentlich der Zusammenhang zwischen den Elementen des ganzen liegt. Genau solche Motive, wo jeder Kollege eine andere Idee hat, worum es eigentlich geht.
  • Schlechte Werbung verzichtet darauf die eigene Marke offensichtlich genug zu erwähnen. Das ist besonders dann hilfreich, wenn auch noch ein Partnerlogo mit abgebildet wird (das dann meist gut sichtbar ist). Natürlich wirkt es stylisher wenn die Anzeige nicht mit Markennennungen voll geräumt ist. Aber wer sich mal in die Position des desinteressierten Zielgruppenlemmings versetzt merkt finde ich immer recht schnell, dass halt so nichts hängenbleiben kann außer „aha, eine Anzeige von $Partner“.
  • Schlechte Werbung ist überheblich. Es gibt Anzeigen bei denen man das Gefühl hat, der Anbieter stelle sich über die Zielgruppe. Schaut von oben herab.

Genug gelästert 😉 .
Was ist dann gute Werbung?

Sicherlich macht gute Werbung die oben angesprochenen Fehler erst mal nicht. Das hilft schon 🙂 .

  • Gute Werbung ist visuell auffällig. Fragt euch nach dem Wartezimmerbesuch beim Arzt mal, welche Anzeigen aus den durchgeblätterten Magazinen bei euch hängen geblieben sind. Beispiel: Ich sitze jetzt gerade in der U-Bahn und schaute eben auf einem Bahnhof aus dem Fenster. Citylights. Zwei Motive nebeneinander.

Plakat 1: Irgendein Film, relativ düster gestaltet, Farbton grün/schwarz. Abgebildet irgendein (für mich) austauschbares Gesicht. Headline/Filmname in dunklem violett. „Kunstvolles“ Schriftbild, also relativ mühevoll zu entziffern.

Plakat 2 daneben: Easyjet. Klare Gestaltung. Orange als Grundfarbe, darauf weiße, einfach zu lesende Schrift. Irgendein Bildmotiv an dass ich mich nicht erinnern kann.

Gemerkt? Ich erinnere mich an Easyjet, aber nicht an den Film. Auffälligkeit ist also wichtig. Gerade im Winter vor grauen Hintergründen kommt so was einfach besser.

  • Gute Werbung sagt, was sie sagen will, aber schnell: Wieder eine U-Bahn-Station. Wieder ein Plakat, auf der linken Hälfte des Plakats: Oben ist eine Produktverpackung für Bonbons abgebildet. Darunter zwei Worte: „extrem lecker“.

Klasse. Mehr muss ich unter Umständen gar nicht wissen.

  • Gute Werbung gefällt der Zielgruppe. Es hilft am Ende wenig, wenn die Agentur und der Anbieter eine Kampagne klasse finden, aber diejenigen, die später das Produkt kaufen sollen, sich von der Kampagne überhaupt nicht angesprochen fühlen.
  • Gute Werbung kann definitiv auch kreativ sein 🙂 . Nächstes Plakat: Ein fliegendes Flugzeug von hinten, von den Turbinen auf den Betrachter zu sieht man eine endlose Reihe von schwarzen Müllsäcken. Oben in der Ecke steht „Greenpeace“. Gefällt mir, ist einfach zu verstehen und wie ich finde durchaus kreativ.

Aber bin ich Teil der Zielgruppe? Was sagt die dazu?

Gute Werbung muss mir persönlich nicht gefallen! Sie muss funktionieren, Die Zielgruppe erreichen, ansprechen, dort hängenbleiben, motivieren.

Und das lässt sich eben nicht auf ein Patentrezept herunter brechen. Das muss bzw. sollte man eben Testen. Und ja, damit verdienen Menschen wie ich ihr Geld. Aber das ganze ist ja kein Selbstzweck. Ich bin schlicht davon überzeugt, dass nur durch Testen wirklich erkennbar ist, was gute Werbung ist.
Aber die Diskussion über die verschiedenen Herangehensweisen verschiebe ich dann auf ein anderes Mal.

Millerntaler continued…

Wie ich gestern ja bereits vorhergesehen hatte, sind alle jetzt zu dem Thema von Vereins- oder Caterer-Seite abgegebenen Äußerungen defensiv. Das Thema wird von der Vorwurfshaltung der Fans dominiert, die das ganze Projekt für Blödsinn halten und zugleich verärgert darüber sind, in welcher Form die Information über dieses neue Zahlungsmittel am Millerntor kommuniziert wurde.

Nun wirken die bisherigen Statements doch arg wie relativ panisches Zurückrudern, weil man den „Fan-Mob“ schlichtweg falsch eingeschätzt hatte. Fokus der aktuellen Öffentlichkeitsarbeit ist die in den Statements mehrfach hervorgehobene fehlende Ausschließlichkeit, wegen der sich die Proteste hauptsächlich erhoben haben.
Der Präsident äußert sich in der Morgenpost und versichert, dass man „bis in alle Ewigkeit“ im Stadion auch mit Euro zahlen könne, nur eben ausschließlich an ausgewählten Ständen. Ich kann mir das nur so vorstellen, dass z.B. jeder zweite Stand dann ein Millerntaler- bzw. Euro-Stand wird. Das ganze soll angeblich den „Zahlungsverkehr vereinfachen und beschleunigen“. Wie genau das funktionieren soll ist mir – und ich glaube vielen anderen auch – äußerst schleierhaft. Wenn es ausschließlich Wertmarken mit definiertem Produkt-Gegenwert (Biermarke- Wurstmarke etc.) gibt, dann hat man zwar an den jeweiligen Ständen einen Vorteil, dafür müssen jedoch vorher ja auch entsprechende Geldmengen in die jeweiligen Taler umgetauscht werden. Und das führt dann zu genau demselben Aufwand wie vorher das Bezahlen am Stand. Dazu kommt aber eben auch noch der Rücktausch nach dem Spiel. Gerade Stadionbesucher die nur ab und zu mal im Stadion sind werden nicht zwingend Euroweise Taler mit Heim nehmen wollen, die sie vielleicht später mal nutzen können. Zudem ist der logistische Aufwand für den Fan wesentlich größer, da er sich im Prinzip vor dem Spiel bereits entscheiden muss, wie viel und was er später konsumieren will.

Die ganze Kommunikation ist jedenfalls ziemlich daneben gelaufen. Ich vermute allerdings, dass es eine Art Konzept gab, dieses jedoch nicht umgesetzt wurde. Gestern stand noch in der Zeitung, dass der Präsident verärgert darüber sei, wie das ganze öffentlich gemacht wurde. Das spricht sehr deutlich dafür, dass es eine Planung gab, von der nun abgewichen wurde.

Anyway, bisher gab es immer noch keine überzeugenden Argumente für den Millerntaler, aber es bleiben die Vorbehalte. Und die Aussage dass man ewig mit Euro bezahlen könne wirkt nicht vollständig glaubhaft. Denn so wird das ganze Konzept hinter dem Taler noch wackliger. Entsprechend halte ich das für die entsprechende Reaktion auf die sich formierenden Proteste.
Nur: Dann ist damit zu rechnen, dass über kurz oder lang die Euro-Stände immer weniger werden. Da bieten sich dann ja auch „Argumente“ aus der Praxis. Immerhin funktioniert es dann bestimmt an den Millerntaler-Ständen besser, die Eurostände machen weniger Umsatz etc.. Und schlimmstenfalls gibt es dann pro Stadionbereich noch einen kleinen Stand an dem man seine Euro los wird. Man hätte es doch versprochen Aber auch da ist die Akzeptanz dann unter Umständen schnell nicht mehr groß genug und im Interesse aller hat man dann eben auch dort nur noch Millerntaler.
Wohlgemerkt halte ich das nicht für „im Interesse aller“, aber ungefähr so stelle ich mir die aktuelle Strategie dahinter vor.

Gewünscht hätte ich mir bei dem ganzen vor allem etwas mehr Offenheit. Ich persönlich finde das Ding zwar grausam, aber wenn es denn nachvollziehbare Argumente dafür gibt wäre das ganze anders gelagert gewesen. Und für mich wäre selbst ein rein auf den Profit ausgelegtes Argument unter gewissen Umständen noch tragbar, aber dazu müsste ich es eben erst einmal kennen.

Von daher bleibe ich dabei – Marketing setzen, 6!