Präsidentenwahl im Namen Gottes

Die größte Konfessionelle Gruppe in Deutschland ist, man glaubt es kaum, konfessionslos. Mehr als ein Drittel aller in Deutschland lebenden Menschen.

Und wer wird von den großen Parteien zur Wahl vorgeschlagen?

Herr Gauck, evangelischer Pastor.
Christian Wulff ist Kuratioriumsmitglied von “ProChrist”.

Andere Vorschläge wären z.B. Frau von der Leyen, die z.B. Schirmherrin des “evangelikalen Jugend-Kongresses Christival” ist.
Oder Margot Kässmann, ebenfalls evangelische Pastorin.

Man sieht, wohin ich will, oder?

Alles – für ein Volk von Konfessionslosen und / oder weitgehend inaktiven Konfessionellen – auffällig religiös aktive Menschen. Wie kommt das?

Was motiviert die aktive Politikerszene (man verzeihe mir diese Anleihe im St. Pauli-Kontext), sich vor allem mit Anhängern von Institutionen zu schmücken, die seit 2.000 Jahren keine Fortschritte gemacht haben? Die an ein Buch und die darin geschilderte Botschaft glauben, das uns sagt, dass die Erde in 6 Tagen geschaffen wurde? (natürlich rein metaphorisch.)
Menschen, die sich offenbar mit der Aussage solidarisch erklären, dass jemand nach seinem Tode nicht nur auferstand, sondern auch noch “gen Himmel fuhr”, wo er jetzt lebt. Seit 2.000 Jahren?

Manchmal fühlt es sich ein bisschen wie Mittelalter an. Aber okay, da sind wir ja offenbar auch noch. Immerhin zahlt der Staat – also wir alle – vor allem auch wir konfessionslosen – das Gehalt für Kleriker. Wie war das noch mal mit der Trennung von Staat und Kirche?

Aber – siehe oben – die scheint eh nur sehr begrenzt beabsichtigt. Die regierende Klasse (und das Wahlvolk?) legt ja offenbar Wert darauf, sich religiös zu geben.

Wobei, auch sonst – der Staat nimmt die Kirchensteuer ein – wäre es nicht logischer, die Kirchen sich selbst zu überlassen? Die Kirchen selbst mit ihren Mitgliedern die Gebühren, Beiträge, whatever vereinbaren zu lassen?

Irgendwie ist mein mal Scherzhaft gemeinter Vorschlag gar nicht so abwegig: Warum nicht Joseph Ratzinger zum Präsidenten machen? Das würde uns wenigstens das Rumgeeiere ersparen. Und eine Papst-Bundespräsidenten-Personalunion wäre zumindest absurd.

Einer dieser Tage, an denen ich mich darüber ärgere, dass die konfessionslosen eben gerade “nichts” gemeinsames haben und deshalb so schwer zu organisieren sind. Schon immer ein Problem derer, die für sich selbst dachten: Keine eigenen und weitgehend anerkannten Autoritäten.

Naja. Eigentlich auch nix Neues. Aber ich wollte mich mal wieder aufregen. Wenigstens ein kleines Bisschen.

Rückzugsgefecht?

Als bekennender Atheist hat man naturgemäß ein eher skeptisches Verhältnis zur Religion als solche. Von daher habe ich Richard Dawkins „The God Delusion“ vor einigen Monaten mit Begeisterung verschlungen (inzwischen auch auf Deutsch übersetzt erhältlich: „Der Gotteswahn“).

Dank Kardinal Meisners Aussage zu „entarteter Kultur“ ist die Kirche ja derzeit wieder gut im Gespräch. Spannend daran finde ich, dass inzwischen selbst die größten Agitatoren der Kirche scheinbar das Bedürfnis haben ein Gefecht zu führen, dass für mich immer mehr wie ein Rückzug wirkt.

Sollte der Gläubige, eigentlich jeder Mensch, nicht glauben, weil er damit das Richtige tut? Sollte er nicht glauben, weil es die Wahrheit ist, an die er glaubt? Weil in der Bibel Gottes Wort zu lesen ist? Eben weil all das an das er glaubt wahrhaftig ist? Eigentlich weil er weiß anstatt zu glauben?

Und dann kommt von Kardinal Meisner dies:

Wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus, und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte
Nachzulesen u.A. bei SPON

Wo also eine Gesellschaft sich Säkularisiert und von der Kirche entfernt, wird sie Kulturlos, verliert ihre Werte.

Anders gesagt: Wir brauchen eine Religion um unsere Kultur und unsere ethisch-moralischen Werte aufrecht zu erhalten. Glaube also nicht mehr des Glaubens wegen, sondern um ein bestimmtes System zu stabilisieren.
Religion nicht mehr weil sie wahrhaftig ist, sondern weil wir sonst amoralisch, rituell, kultisch handeln würden. Weil wir sonst ‚entarten’ (die Diskussion über diesen Begriff überlasse ich gerne anderen).

Früher kam es mir so vor, als hätte die Kirche selbst ein ausreichend großes ‚Ego’, um offen dazu zu stehen, dass sie „Die Wahrheit“ spricht:

„Glaube, was wir dir erzählen, denn wir wissen was wir sagen und was wir sagen ist wahrhaftig!“

Inzwischen fühlt man sich aber scheinbar genötigt, darauf hinzuweisen, dass Religion ja auch kulturell wichtig sei, dass der Gesellschaft etwas fehlen würde.
Nur ist dies keine offensive Argumentation wie einst, sondern eine rein defensive. Es scheint, als gingen der Kirche langsam aber sicher die Argumente aus.
Denn dies ist die krampfhafte Suche nach einem Sinn eines Glaubens, genau so wie viele Gläubige wohl vor allem deshalb glauben, weil sie sonst keinen Sinn in ihrem Leben sehen.
Es ist der Versuch Religion einen neuen, einen zusätzlichen Nutzen aufzupfropfen um Ungläubige zurück zu gewinnen oder wenigstens davon abzuhalten eine Institution die sich im säkulären Westeuropa gewissermaßen überlebt hat, noch weiter in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit zu drängen.
Und leider findet die Kirche mit so was immer noch viel zu oft Gehör, auch bei Nichtgläubigen.

Es ist ein Irrglaube, dass die Religion wenn schon nicht wahr, dann nützlich sei, weil sie die Moral stärke. Solange auch Nichtgläubige dem etwas abgewinnen können, haben die Meisners leichtes Spiel.
Robert Misik in der TAZ

Es bleibt zu hoffen, dass immer mehr Menschen zu ihrem Atheismus stehen.
Es bleibt zu hoffen, dass es immer mehr Menschen gibt, die wie Dawkins den Finger in die Wunden legen und darauf hinweisen, dass es überwältigend viele Argumente gegen einen Gott wie ihn die drei großen Religionen definieren gibt, und nach aktuellem Wissenstand keine dafür.

In diesem Sinne